Bluthunde.
Roman.
Don DeLillo, Goldmann 2000, EV 1978 (USA) (TB)



Angeblich gibt es einen Amateurfilm, einen 16-mm-Streifen, schwarzweiß, leicht anrüchigen Inhalts, *ziemlich* anrüchigen Inhalts. Er soll 1945 gedreht worden sein, genauer irgendwann im Frühjahr. Im Bunker. In Berlin. Im "Führerbunker".

Handelnde Figuren und Inhalt - Gegenstand der Spekulation. Sex? Hitler selbst?
Vielleicht. Möglicherweise.
Nachdem dieses Gerücht kurz nach Ende des Krieges bereits einmal für Erregung in den Kreisen sorgte, die durch derlei zu erregen sind, macht es plötzlich, dreißig Jahre später, wieder die Runde. Es gibt einen Mord. Einen leicht traningen Händler obszöner Antiquitäten. Einen Senator mit Hang zu solchen Antiquitäten. Geheimdienste, Dunkelmänner, Scheinfirmen, Einzelkämpfer, Durchgeknallte, Vietnamveteranen, Journalistinnen. Eine Menge Dialog.

Nach der - überaus anregenden und amüsanten und beeindruckenden - Lektüre von DeLillos "Unterwelt", diesem mächtigen 1000-Seiten-Werk voller Mystik, Metaphorik, voller politischer, kultureller, sozialer Anspielungen, voller jüngerer Geschichte und älterer Verfilzung, war ich kaum dazu in der Lage, jemanden in kurzen Worten mitzuteilen, *worum* zur Hölle es in diesem Roman eigentlich ging. Nach wie vor plagt mich dieses Unvermögen gelegentlich, wenn das Buch zur Sprache kommt und ich es nicht lassen kann, "Hier!" zu schreien, und ich flüchte mich bei solchen Gelegenheiten - leise errötend - in Schwelgereien über DeLillos Sprache, seine zwingende Erzählweise, den brillanten Aufbau und diese Dinge.

Alleine, "Bluthunde", dieser vermeintliche Thriller, mit den notwendigen Protagonisten besetzt, die distanziert gezeichnet werden, hinterläßt ein ähnliches Dilemma. Während in der ersten Hälfte noch eine Linie erkennbar zu sein schien, verließ mich der Optimismus ab dem Mittelteil nach und nach. Am Ende habe ich's nicht zusammenbekommen, jedenfalls nicht vollständig; der Herr steh' mir bei, ich verstehe Bücher nicht mehr! Mir ist tatsächlich, das muß ich leider unumwunden zugeben, nicht klargeworden, warum Selvy den Opfergang wählte, warum Persival das Interesse verlor, und noch ein paar andere ... Details.

Vielleicht, und das mag meiner möglicherweise unzureichenden Allgemeinbildung anzulasten sein, mangelte es mir an den richtigen Stellen an der Fähigkeit, die Brücke zu Mythologie, amerikanischer Politik der 70er usw. herzustellen. Aber Ergebnisse zählen.

DeLillo gibt von seinen Figuren nur bestimmte Wesenszüge wieder, grenzt die Charaktere auf Eigenschaften ein, die sich wie eine unvollständige Aufzählung ausnehmen, es ist, als würde man etwas durch eine teilweise undurchsichtige Brille betrachten. Dieser Umstand schafft Distanz und Kühle; als "unterkühlt" ist "Bluthunde" prädikativ durchaus zu besetzen. Gleichzeitig vermittelt der hohe Dialoganteil - Dialoge, die durch Diktion und Rhythmus bestechen - eine Betrachterposition, die in verwirrendem Gegensatz dazu steht. Doch das stellt, wie eingangs erläutert, nur, subjektiv gesehen, einen Teil der Verwirrung dar, den dieses Buch bei mir hinterlassen hat.

Toller Lesestoff. Aber irgendwer hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.

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