Zwischen allen Wolken. Roman.
Michael Gantenberg, Scherz, Mai 2010


Zwischen allen Wolken

Angenehme Überraschung

Jeder hat das Recht auf eine zweite Chance. Michael Gantenbergs Romandebüt "Neu-Erscheinung" war meiner Meinung nach eine Bauchlandung, und zugleich ein gutes Exempel für die seit einiger Zeit mit schwachen Geschichten, (meistens) aber fetten Marketingetats auf den Belletristikmarkt drängenden Comedy-Autoren.

Doch sowohl der Verlag, als auch der Autor haben sich etwas getraut, und zwar etwas Verblüffendes. Der zweite Roman des Grimme-Preisträgers liest sich, als würde er von einem anderen Schriftsteller stammen. Von einem sehr viel besseren.

Die neunzehnjährige Gesa lebt auf Nordrüm, einer fiktiven Nordseeinsel, auf der sich im Sommer die Urlauber tummeln. In Vor- und Nachsaison sind es kinderlose Paare, die die Pension "Möwennest" aufsuchen, weil Gesas Oma übersinnliche Fähigkeiten zu haben scheint. Jedenfalls stellt sich nach einer Wattwanderung mit ihr fast immer der Kindersegen ein.
Gesas empfindet Hassliebe für ihre Heimatinsel. Einerseits mag sie das überschaubare Geschehen, das Treiben in der mütterlichen Pension, ihre persönlichen Orte, die sie zumeist mit dem geliebten Bruder teilt, und die es so nur auf dieser Insel gibt. Andererseits will alles in ihr weg, und zwar möglichst weit, aber warum genau, das weiß Gesa nicht. Dann stirbt der Bruder bei einem Fallschirmsprung, und alles wird anders.

Aus Gesas Sicht und in einem angenehmen, fein-ironischen Duktus erzählt Gantenberg eine recht vielschichtige, tragikomische Coming-of-Age-Geschichte, die zwar hier und da etwas zu stark mit Klischees geflutet wurde, und in der gegen Ende leichte Erklärungsebbe herrscht, die aber insgesamt trotzdem überzeugt. Nicht jedes Motiv - etwa dasjenige mit dem verstorbenen Bruder, der sich Gesa monatelang als "Berater" zeigt - ist neu, und manch eine Episode - etwa das Auftauchen des Daily-Soap-Filmteams - scheint keinen besonderen Zweck zu erfüllen, aber in der Summe bietet "Zwischen allen Wolken" sehr empathischen, freundlichen und erfreulichen Lesestoff, solides Futter für Tränendrüse und Lachmuskel. Das Leben auf der kleinen Insel wird nachgerade spürbar, und das gilt für Gesas Ängste, Zweifel, Wünsche und Probleme auch. Eine schöne Geschichte über Heimat, Liebe, Familie, große Ideen und das kleine Glück. Die hohe Katastrophendichte im letzten Drittel hätte in dieser Massierung vielleicht nicht sein müssen, aber Gantenberg muss ja auch etwas übrig bleiben, das er im dritten Roman besser machen kann.

Also, geht doch!

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