Winter in Maine. Roman.
Gerard Donovan, Luchterhand 2009


Winter in Maine

Kein Meisterwerk, aber großartige Literatur

Julius Winsome lebt in einer Hütte mitten im Wald irgendwo im nördlichen Maine. In dieser Hütte wohnte er schon mit seinem Vater, und der mit dem seinen. Dieser Großvater war es auch, der über dreitausend Bücher sammelte, teilweise wertvolle Erstausgaben, mit denen das Häuschen praktisch tapeziert ist. Wenn Winsome nicht gerade mit seinem Hund Hobbes, einer Pitbull-Mischung, unterwegs ist, sitzt er in der kleinen Behausung am Kamin und liest. Im Sommer erledigt er alle möglichen Arbeiten, gärtnert für die reicheren, aber weit entfernt wohnenden Nachbarn, um den strengen Winter zu finanzieren. Seit die mysteriöse Claire vor vier Jahren aus dem Wald in sein Leben trat, um sich ein paar Monate später wieder daraus zu verabschieden, will Julius noch weniger mit anderen Menschen zu tun haben als vorher. Eigentlich aber ist er kein Misanthrop, sondern schlicht jemand, der sich selbst genügt.

Die Zivilisation wird nur spürbar, wenn die Jäger unterwegs sind. Winsome hört dann die Schüsse, häufig weiter weg, manchmal aber auch nahe. Am letzten Tag des Herbstes hört er einen sehr lauten Schuss. Danach kehrt Hobbes nicht von seinen Streunereien zurück. Winsome findet schließlich das schwer verletzte Tier, das offenbar aus großer Nähe mit einer Schrotflinte angeschossen, also ermordet wurde. Der Tierarzt im fernen Fort Kent kann nur noch mit dem Kopf schütteln. Am Abend muss Winsome seinen einzigen Freund begraben.

Der vereinsamte und in einer merkwürdigen Welt zwischen Eremitage, Literatur, Erinnerung und distanzierter Wahrnehmung der Jetztzeit gefangene Winsome nimmt Rache. Zunächst erschießt er einen Jäger, dann zwei weitere, schließlich folgt ein Mord, den er nur verübt, um die eigenen Spuren zu verwischen. All das geschieht mit einer Waffe aus dem ersten Weltkrieg, einem Präzisionsgewehr, das Winsomes Großvater von einem englischen Soldaten bekam.

"Winter in Maine" ist eine spröde, aber atmosphärische Erzählung, in der es um Einsamkeit, Moral, Krieg, Literatur und vieles mehr geht - vielleicht um ein bisschen zu viel von allem. Der strikte Fokus auf die Hauptfigur verhindert jedoch glücklicherweise, dass der Roman, der eigentlich eine Novelle ist, zerfasert. Donovans Protagonist reagiert und reflektiert so präzise, wie er die Gewehrkugeln abfeuert, ist eigentlich ein feiner Beobachter, aber dass seine Welt völlig aus den Fugen ist, das nimmt er kaum zur Kenntnis, denn aus seiner Egozentrierung führt kein Weg hinaus. Eine vertrackte Situation für den Leser, hin- und hergerissen zwischen Verständnis und Ablehnung, weil dieser Julius Winsome so enorm nachvollziehbar ist.

Dennoch hat Donovan die recht kurze Geschichte für meinen Geschmack überladen. In seiner Rätselhaftigkeit und Andeutungsvielfalt wirkt das sprachlich ruhige und viel Weisheit ausstrahlende Buch fast schon aufdringlich. Wenn man aber nur die vordergründige Geschichte über einen einsamen Mann, der seinen Hund verliert, zur Kenntnis nimmt, mag dieser Aspekt zu vernachlässigen sein.

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