Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?
Richard David Precht, Goldmann 2007


wer bin ich

Philo für Dummies

Tut mir sehr leid, lieber Herr Precht, aber das titelgebende Zitat haben Sie zwar möglicherweise bei einem Freund gehört, aber es entsprang nicht dieser Quelle. Schon in den Siebzigern, während meiner Schulzeit, galt dieser Satz in verschiedenen Variationen als Bonmot. Dies vorweg.

Wer den Anspruch erhebt, auf einer knapp vierhundertseitigen "philosophischen Reise" die Fragen des Seins wenigstens anzureißen, muss fraglos reduzieren, eine Richtung vorgeben und fallweise zwischen der Vermittlung von Grundlagenwissen und aktuellen Standpunkten abwägen, zu Ungunsten des einen oder anderen. Anfangs, bei der Einführung in die Geschichte der Philosophie, geschieht dies mit einem guten Blick für das vermeintlich Wesentliche; hier kann noch von einem lehrreichen Buch gesprochen werden, wenn man als Zielgruppe Leser voraussetzt, für die Nietzsche, Wittgenstein und Descartes bestenfalls Namensgeber von Straßenzügen sind. Danach aber verliert sich der Autor in einem nachlässigen Diskurs zu Einzelfragen, die nur in sehr lockerem Zusammenhang stehen. Moral und Ethik werden anhand von Themen wie Abtreibung, Vegetarismus, Genforschung und einigen anderen zwar diskutiert, aber die Auslassung nimmt überhand, und der jeweilige Folgeschritt wird bestenfalls oberflächlich, aber so gut wie nie schlüssig begründet. Kernrätsel wie Gottesfragen bzw. -beweise geht der Autor ohne jeden geschichtlichen oder kulturellen Bezug an; solche Abschnitte lesen sich wie Auszüge aus älteren Essays, die zu Buchkapiteln eingedampft worden sind. Statt sich hier dafür zu entscheiden, eine konsequente Linie zu formulieren bzw. zu diskutieren, bedarfsweise auch gerne auf einer etwas abstrakteren Ebene, enden diese Elemente immer ähnlich, nämlich als eine auf Antworten verzichtende Auflistung von zuvor aufgeworfenen Fragen - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

Diesem Buch zugutehalten muss man seinen ansprechenden Duktus und den sehr gelungenen Spagat zwischen Wissenschafts- und Populärlektüre. Die negativen Aspekte jedoch überwiegen, vor allem das Nichterreichen des selbstgesetzten Ziels. Hier liegt nach meinem Ermessen ein konzeptioneller Fehler vor. Das Buch versucht etwas zu leisten, das auf diesem Raum nicht geleistet werden kann, und statt den Versuch aufzugeben, wird ein fades, populistisches Zwischenergebnis geliefert, das vielen Vorgängern sehr ähnelt. Wirklich zufrieden dürfte Precht bestenfalls mit dem Verkaufserfolg sein.

Die oben genannte Zielgruppe wird möglicherweise dennoch ihren Nutzen ziehen können. Wenn dieses Buch hilft, dem Werteverlust und dem zum Volkssport mutierten, galoppierenden Tabubruch ein kleines bisschen entgegenzusteuern, indem Menschen, die sich zuvor solchen Gedanken nicht hingegeben haben, nunmehr Entscheidungen hinterfragen, wenigstens aber über sie nachzudenken, ist, der lächerlichen Ausstattung (Titelei und Umschlag) des Werkes zum Trotz, etwas erreicht worden. Alleine, diese Spekulation wird vermutlich nicht eintreffen. Denn eigentlich kann "Wer bin ich" nur entweder über- oder unterfordern. Laien sollten bei Richard Tarnas' "Idee und Leidenschaft" beginnen und sich anschließend Lektüre zu Einzelfragen zusammensuchen. Jene, die über philosophische (Grund-)Kenntnisse verfügen, greifen ohnehin zu anderen Büchern - und nur zu Precht, um zu erfahren, was der medienbeeinflusste Buchkäufer gerade liest.

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