Was? Wäre? Wenn?. Roman.
Wiebke Lorenz, Piper 2003


Das Leben ist chaotisch, und das Leben von Charlotte "Charly" Maybach ist besonders chaotisch. Während ihre Eltern glauben, sie würde in Hamburg BWL studieren, jobbt die fast dreißigjährige Charly seit 7 Jahren in der gemütlichen Kneipe "Drinks & More", hastet von einem One-Night-Stand zum anderen, hadert mit ihrem etwas zu breiten Gesäß, führt endlose Gespräche mit Tim, dem Kneipenbesitzer, und Georg, dem kaffeetrinkenden Faktotum. Da taucht eines Tages Moritz auf, mit dem Charly während ihrer Schulzeit den ersten Sex hatte; ein unrühmliches Erlebnis, weil die beiden ertappt wurden.
Die Nobel-Privatschüler feiern zehnjähriges Abi-Treffen, und Charly läßt sich breitschlagen, wider besseres Wissen dort aufzukreuzen. Sie hat wenig mit den rolextragenden Schickies zu tun, zu denen ihre Mitschüler geworden sind, und auch die überraschende persönliche Einladung von Moritz dient einem anderen Zweck, als Charly anfangs geglaubt hat. Das Treffen wird zur Tragödie, aus der Charly von ihrem Arbeitgeber und Freund Tim gerettet wird.

Das Leben ist ein Chaos. Ein häufig kolportiertes Gesetz der Chaos-Theorie besagt, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite der Erdkugel einen Orkan auslösen kann, und diesem Gesetz genügt unser Leben auch. Als Charly die Chance bekommt, peinliche und vermeintlich dumme Entscheidungen rückwirkend aus ihrem Leben zu löschen, findet sie sich plötzlich als hübsch-brav-schlanke Ehefrau von Moritz wieder, inmitten der dusseligen Schickies, befreundet mit ehemaligen Klassenkameradinnen, deren Lebensparadigma auf Fahrstuhlmucke, Prado-Taschen und das Elbufer beschränkt ist. Was ihr anfangs gefällt, wird rasch zum erstickenden Gefängnis, in dem sich die neue, alte Charly wenig wohlfühlt.

Wiebke Lorenz läßt ihre ruppige, aber fröhliche Protagonistin rasant als Ich-Erzählerin parlieren. Der Roman reiht amüsante und nur selten lapidare Episoden aneinander, formt zielsicher eine überschaubare Anzahl von Figuren, die allesamt ihre Rolle zu spielen haben, und macht aus zwei Gründen großen Spaß: Er ist sehr locker erzählt, anschaulich und einfühlsam, und gleichzeitig verrennt er sich nicht dabei, die kaum zu erklärenden Hintergründe und Verstrickungen zu umschiffen. Er wird weniger von seiner Idee getragen, als von seiner Hauptfigur, und das auf sehr unterhaltsame Art. Erzählerisch ist er sehr konsistent, auch wenn die Logik oft auf der Strecke bleibt. Denn es geht nicht um Logik, sondern um das Was Wäre Wenn. Spekulationen müssen nicht immer mathematischen Gesetzen genügen.

Das Buch vermittelt die - einfach klingende - Botschaft, daß viele Fehlentscheidungen zwar nicht therapierbar, aber möglicherweise heilbar sind, vor allem aber, daß wir ohne sie andere Menschen wären, und daß es andere Menschen gewesen wären, die diese Fehlentscheidungen nicht getroffen hätten.

Ein erfreuliches Buch, das sich auf angenehm-persönliche Art von all den Enddreißiger-Frauengeschichten abhebt, die lustig sein sollen, aber nur gezwungen wirken. Ein Pageturner, und definitiv kein "Frauenbuch".

Das Buch bei Amazon

zurück

Übersicht: Tom Liehr

©Tom Liehr - http://www.tom-liehr.de - Kontakt