Vincent. Roman.
Joey Goebel, Diogenes 2005


Beispiele für Künstler, die den Höhepunkt ihrer Schaffenszeit erreichten, als ihr Privatleben darniederlag, die große Liebe hinfort war, Geld, Freunde und Vergnügen fehlten, gibt es zuhauf. Den Gedanken, erst Leiden würde wahre Kreativität schaffen, denkt der alternde Medienzar Foster Lipowitz konsequent zuende.
Zeitlebens hat er Schrott unter die Leute gebracht, billige Fernsehserien, effektheischende und handlungsfreie Actionfilme, armselige und inhaltsleere Popmusik. Das hat ihn zwar zum Inhaber der weltweit erfolgreichsten Mediengruppe "IUI/Terner" gemacht, aber als es dem Ende entgegengeht, scheint Lipowitz das schlechte Gewissen zu plagen. Er sagt dem Mainstream, den er selbst fundamentiert hat, den Kampf an, und gründet die geheim arbeitende Künstlerakademie "New Renaissance". Deren Aufgabe soll sein, junge Talente aufzuspüren, möglichst dem Elternhaus zu entreißen, und ihnen "Manager" zur Seite zu stellen, die - ohne Wissen der Delinquenten - fortwährend dafür Sorge zu tragen haben, daß der Künstler unglücklich bleibt. So ein Künstler ist Vincent Spinetti, sein "Manager" wird der erfolglose Rockmusiker Harlan Eiffler, der Ich-Erzähler dieses Buches, auf den "New Renaissance" aufmerksam wurde, weil er sich als Musikjournalist über die blasse und sich selbst nachahmende Popmusik echauffiert hat.

Vincent hat alle Voraussetzungen - er ist talentiert, seine Mutter ist eine Hure, seine Geschwister sind kränklich, sein Dasein ist eine Katastrophe. Der nicht immer sanfte Druck, den Eiffler im Verborgenen ausübt, spornt Vincent zu Höchstleistungen an, und so dauert es nicht lange, bis Vincent Nummer-Eins-Hits landet, Plots für überaus erfolgreiche Fernsehserien entwickelt und vieles mehr. Der Junge wird zum jungen Mann, aber Liebe und Glück bleiben ihm versagt - der scheinbar gute Freund Harlan Eiffler gibt acht, ohne daß Vincent je ahnt, was die Ursache dafür ist, daß er in allen Bereichen scheitert, außer bei der Kunst.

Goebels Roman liest sich spannend, der Aufbau ist rasant, wenn auch die Perspektive nicht immer glücklich gewählt zu sein scheint. Die zuweilen sehr vordergründige Medienkritik, insbesondere, wenn Harlan Eiffler vor Produzenten ausschweifende Vorträge über die Blässe des Mainstreams und die Verdummung der Branche hält, scheint überflüssig, wirkt gelegentlich sogar etwas unglaubwürdig, wenn die staunenden Medienmacher beifällig nicken, zu Ausführungen, die nicht weniger als die Fundamente des Popbusiness' beschreiben. Nichtsdestotrotz enthält die Geschichte im Kern zwei wesentliche Wahrheiten: Unsere Popkultur besteht zu mehr als neunzig Prozent aus Mist, und Künstler, die sich auf Millionen-Dollar-Yachten in der Sonne aalen, werden niemals Werke schaffen, die Herzen zu berühren in der Lage sind.

Leider, und das schmälert den ansonsten guten Eindruck ein wenig, gelingt Goebel die Figurenzeichnung weit weniger gut als der medienkritische Diskurs. Insbesondere Harlan Eiffler, der Ich-Erzähler, wirkt diffus und, was seine Motivation anbetrifft, fahrig. Und die Figur Vincent pendelt zwischen alles durchdringender Weisheit und hanebüchener Naivität. Das etwas verfahrene Ende des Buches verschenkt zudem viel Potential.

Trotz alledem ist "Vincent" (OT: "Torture the Artist") ein sehr lesbares, dichtes Buch, das von seiner Medienkritik lebt, die den Leser ständig zum beifälligen Nicken zwingt, und von vielen sehr schönen, manchmal ergreifenden Momenten.

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