Die Kunst des Verschwindens. Roman
Jim Dodge, Rowohlt 2002
(Vorwort von Thomas Pynchon)
Der 1954 geborene Dodge hat mit seiner kurzen Erzählung "Fup" (siehe Rezi) Furore gemacht. "Die Kunst des Verschwindens" ist sein zweites Buch, sein erster "richtiger" Roman - der Autor lehrt inzwischen Creative Writing, während die Arbeiten am nächsten Buch voranschreiten, wie der Klappentext verrät.
Das erstaunlichste an diesem Buch ist sicherlich das ungewöhnlich geschwätzige und direkte, fast emotionale Vorwort von Thomas Pynchon, diesem fast sagenumwobenen Romancier ("Gravities Rainbow", "Mason & Dixon"), der nach wie vor die amerikanische Literaturwelt in Atem hält. Überflüssig zu sagen, daß Pynchon das Werk lobt. "Die Kunst des Verschwindens" rankt sich um die *wirklich* wichtigen Themen; Pynchon nennt es eine "Party", auf der alles diskutiert wird, was Menschen von heute beschäftigen sollte.
Während der ersten fünfzig, hundert Seiten bin ich das Gefühl nicht losgeworden, daß Dodge ursprünglich eine Fortsetzung zu "Fup" schreiben wollte, denn sprachlich und inhaltlich ähnelt sich hier vieles. Daniel Pearse wird ins Leben gestoßen, wächst auf einer Farm auf, allerdings nicht bei einem Großvater, sondern bei der alleinerziehenden Mutter. Annalee Pearse ist eine schillernde Figur, emotional, triebhaft, wißbegierig. Sie wird von einer Geheimorganisation namens "AMO" angeworben, deren Ziele bis zum Ende des Buches schattenhaft bleiben, letztlich handelt es sich wohl um feingeistige Anarcho-Magiere, jedenfalls um Leute, die mit originellen, aber unrechtmäßigen Mitteln die Regierung der Vereinigten Staaten bekämpfen wollen, es aber nicht schaffen.
"Die Kunst des Verschwindens" erzählt die Lebensgeschichte von Daniel Pearse, der seine Mutter bei einem Bombenanschlag verliert, von der AMO unter die Fittiche genommen wird und rasenschnell - er ist hochbegabt - Zauberei, Verkleidungskünste, Zen-Buddhismus, Kartenspiel und, als höchste Stufe seiner Ausbildung, besagte Kunst des physischen Verschwindens erlernt. Leider erfahren wir nicht, warum Daniel diese Künste und Fertigkeiten beigebracht bekommt; im zweiten Teil des Buches setzt eine verwirrende Jagd um einen gigantischen Diamanten, die Suche nach Annalees Mörder und eine Parallelhandlung um eine junge Psychopathin ein, deren Bedeutung - auch nach dem Zusammentreffen mit Daniel - dem Leser absolut verschlossen bleibt. Auch das Ende ruft nur Kopfschütteln und -kratzen hervor. Was mit Daniel passiert ist, was die Figuren und Handlungsstränge zu bedeuten hatten, warum Daniel so viele Dinge lernen mußte, ohne je von ihnen zu profitieren - keine Ahnung. Als aus der Lebensgeschichte etwas mit Hintergrund wurde, hat Dodge schlicht den Faden verloren. Die Party ging bis morgens um fünf, aber gegen Mitternacht sind bereits alle Gäste gegangen.
Trotzdem liest sich "Die Kunst des Verschwindens" ganz gut, gelegentlich sehr amüsant, der erste Teil hat Rasanz, vermittelt die Figuren auf vergnügliche, atemlose Art und Weise, aber im zweiten Teil wird das Guthaben ebenso schnell wieder aufgebraucht. Erzählerisch irgendwo zwischen Kerouac und Kaminer, mit vielen Andeutungen in Richtung Beatnik-Literatur, vermittelt der Roman den massiven Eindruck der Unfertigkeit, des Unwillens zur Handlungsorientierung. Erstaunlich, daß Dodge inzwischen Schreibkurse gibt, denn in diesem Buch hat er eindeutig reichlich falsch gemacht.