Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch. Roman.
Marina Lewycka, Dtv, Oktober 2006


Als der 84-jährige Vater zwei Jahre nach dem Tod der Mutter eine knapp 50 Jahre jüngere Frau zu ehelichen gedenkt, begraben die Töchter Vera und Nadeshda ihren Streit um das schmale Muttererbe. Die vollbusige, aufgetakelte Valentina, in der Ukraine soeben geschieden, hat nach deren Meinung nicht das Liebes- und Lebensglück des Vaters zum Ziel, sondern eine bequeme Immigration, und außerdem umgehenden Wohlstand. Als sie kurz nacheinander einen schrottigen Rover, einen grünen Lada, einen ölenden Rolls Royce und schließlich einen braunen Gasherd kauft, scheinen sich die Befürchtungen zu bewahrheiten. Ein Kleinkrieg beginnt, bei dem Fotokopierer, in der Toshiba-Mikrowelle zubereitete Äpfel, dubiose Liebhaber, schlechte Anwälte, Detektive und nicht zuletzt ein vom Vater, der früher Ingenieur war, verfaßtes Buch über Traktoren ihre Rollen spielen.

Marina Lewycka hat sich viel vorgenommen. Sie erzählt über ukrainische Migranten in England, solche, die zur Stalinzeit gekommen sind, und solche, die es jetzt versuchen. Sie erzählt die Geschichte eines Landes und einer Familie, thematisiert die fragwürdigen Versprechungen des Kapitalismus', den Gulag, vermeintliches Heldentum und jene fragile Bindung, die gemeinhin 'Familienbande' genannt wird. Leider verhebt sie sich bei all dem ziemlich, euphemistisch gesagt.

Das Buch ist grausig geschrieben und nur selten witzig oder wirklich originell. Und auch die tragischen Momente gehen in selbstgerechten, aufgesetzten Dialogen unter. Der alte Vater ist in der Hauptsache ein seniler, hormongesteuerter Suppenkasper, dessen Zweitexistenz als Chronist der Traktorengeschichte unglaubwürdig wirkt. Die beiden Schwestern, eine davon Ich-Erzählerin, nerven. Und insgesamt gibt es in diesem Buch eigentlich keine Figur, die Nähe entwickelt oder gar Sympathien; das vorhersehbare Ende ist zwar konsequent, aber unbefriedigend. Der Roman wirkt wie eine bemühte, redlich mißlungene Mixtur aus 'Alles ist erleuchtet' und 'Sex and the City', bietet wenig Identifikation und eine Besetzung aus stereotypen Knallchargen. Warum es für den Booker Price nominiert wurde, ist mir ein Rätsel.

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