Wie Tote leben.
Roman.
Will Self, Luchterhand 2002


Der Monolog der Lily Bloom

Lily Bloom hat drei Ehemänner hinter sich, den Tod des neunjährigen Sohnes verschuldet, aber die beiden Töchter, eine hübsche, promiske Junkiebraut, und eine schweinenasige Spießertante, sind noch am Leben. Lily stirbt, als sie knapp über sechzig ist, der Krebs zerfraß erst die Brust, und dann den Rest. Aber der Tod ist nicht das Ende. Phar Lap Jones, ihr Todesbetreuer, ein abgefahrener Aborigine, führt sie nach Dulston, der Ausgeburt aller häßlichen Londoner Vororte, wo sie fortan in einer schleimigen Souterrainwohnung dem stagnativen Nichtssein der Nachtodeszeit ausgesetzt ist.

Will Selfs neuester Roman ist ein langer, haßtriefender Monolog, ein Manifest gegen das Sichabfinden mit der Mittelmäßigkeit des Daseins, ein Pamphlet gegen sogenannte Werte, gegen Moden, gegen Gesellschaft und Kultur, gegen die widerwärtigen Zwänge des Miteinanders, gegen Mißgunst und Neid, gegen das abgestandene, mediokre Großbritannien. Wenn man es genau nimmt, findet sich auf diesen 440 Seiten fast alles, was man eigentlich nicht sagen dürfte, aber die abgehalfterte Protagonistin verfügt über sämtliche Rechte. Lily Bloom hat viel durchgemacht, das meiste davon allerdings selbst verschuldet, und das unnachgiebige Selbstmitleid und der noch intolerantere Schmerz über die Freudlosigkeit des Seins prägen jeden Abschnitt, jeden Satz, jedes verfluchte Wort dieses enorm eloquenten Traktats.

Leider lassen sich das Bild, das die Protagonistin so wortgewaltig - jeder zweite Satz ist zitierenswürdig, die sprachliche Brillanz fast erdrückend - von sich zeichnet, wenig mit der Figur dahinter in Übereinstimmung bringen, und das macht einerseits den Reiz des Buches aus, nimmt ihm aber andererseits gehörig an Nachvollziehbarkeit. Die alte, dicke Frau, die sich so beredt über die Schwächen der Menschen und das Falschsein der Welt erregt, hat es so nicht gegeben; Lily Bloom war ein kleines Licht, eine blasse Mittelschichtlerin, der man den Wortschwall nicht abnimmt, der sie zu einer Marionette des mehr und mehr in den Vordergrund drängenden Autor-Ichs macht, und damit steht die Botschaft des Buches auf der Kippe.

Nichtsdestotrotz ist "Wie Tote leben" ein stilistisch und sprachlich fantastisch inszeniertes, hochintelligentes, über alle Maßen lesbares Buch, extrem unenglisch, fundamentalistisch, gemein, gefährlich, amüsant und beängstigend.

Sehr dringende Empfehlung.

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