Das sterbende Tier.
Roman.
Philip Roth, Hanser 2003



Der "Professor der Begierde" (eines von Roth' schwächeren Büchern) David Kepesh ist 62, als er die achtunddreißig Jahre jüngere Consuela kennenlernt. Kepesh hat eine Kultursendung auf Channel Thirteen, veranstaltet ein Seminar an der örtlichen Uni, gilt als gesetzt, ist ein bißchen populär, hält nach wie vor an dem Grundsatz fest, während des Semesters keine Liebeleien mit Studentinnen anzufangen. Consuela geht ins Netz, wie andere vor ihr, im Anschluß an die übliche Semester-Abschlußparty, die Kepesh seit den Sechzigern regelmäßig gibt - immer mit dem Ziel verbunden, eine der knackigen Seminarteilnehmerinnen zu beglücken. Doch Consuela ist anders - selbstbewußt, offen, zu jeder Schandtat bereit, gleichzeitig aber auf sehr kubanische Art konservativ und werteorientiert. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt sich der alte Professor unterlegen, spürt Eifersucht, findet seine Lust nicht ventiliert in diesem seltsamen Abhängigkeitsverhältnis, das sich mit der extrem gutaussehenden, großbrüstigen
Consuela entwickelt. Die beiden haben zwar reichlich Sex, wobei Consuela jedem ausgefallenen Wunsch Folge leistet, aber Kepesh spürt Verlustängste, sieht sein Selbstbewußtsein dahinschwinden, flüchtet sich parallel in ein - ebenfalls sexuell orientiertes - Nebenverhältnis mit Jugendliebe Carolyn.

Der Professor ist siebzig, als er die Geschichte erzählt, die ihr vorläufiges Ende darin findet, daß er über sechs Jahre nach dem Ende der Beziehung einen Anruf von Consuela bekommt. Lust, Verführung, Alter, Sterben, Freundschaft, Familie, Werte, Schein und Sein, das komplizierte Beziehungsgeflecht auf einem Uni-Campus sind wieder einmal die Themen des Großmeisters, dessen neuestes, sehr kurzes Werk im Schatten von "Der menschliche Makel" steht, einem so gewaltigen Schatten, daß man den Vergleich nicht versuchen sollte. Nur, wenn man dieser Versuchung nicht erliegt, hält man ein sehr narrativ erzähltes, zuweilen essayistisches, etwas nach Kundera schmeckendes Büchlein in den Händen, das ganz bewußt den Grenzbereich zur sogenannten Pornographie sucht, das fast den Kreis schließt zu Roth' berühmtem Erstling "Portnoys Beschwerden", das zwar über vergleichsweise wenig Witz und Originalität verfügt, auch nicht gerade spannend ist, zeitweise sogar etwas langatmig, dies aber über seinen Charme, die augenzwinkernde Selbstbetrachtung und natürlich über die sprachliche Qualität durchaus wieder wettmacht. Keine gewaltige Erzählung wie "Amerikanisches Idyll", "The Great American Novel" oder der erwähnte "Menschliche Makel", aber ein weiterer, rasch gesetzter Mosaikstein in einem der größten literarischen Puzzles unserer Zeit.


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