Der Sterne Tennisbälle.
Roman.
Stephen Fry, Aufbau-Verlag 2001

 

Der Graf von Monte Christo, revisited

Der Brite Stephen Fry ist eine schillernde Figur auf der „Insel“. Der 1957 geborene Autor, Theater- und Filmschauspieler („Peter’s Friends“, „Oscar Wilde“), Unternehmer und Ex-Häftling legt eine Umtriebigkeit an den Tag, die deutsche Kult(ur)figuren nur lahm nachahmen können, von der Schlingensief etwa nur eine zappelige Karrikatur liefert. „Der Sterne Tennisbälle“ ist sein vierter Roman.

Während mich bei „Das Nilpferd“ noch die etwas wirre Struktur und der teilweise aufgesetzt wirkende, herbeikonstruierte Humor gestört haben, ist „Der Sterne Tennisbälle“ aus einem ganz anderem Holz geschnitzt. Das Buch kommt zunächst wie ein vortrefflich formulierter Internatsroman daher, entwickelt aber nach und nach eine beharrliche, amüsante, konsequente, gelehrte Grausamkeit, die ich in dieser Form bei einem zeitgenössischen Autor noch nicht erlebt habe. In wunderbarer Erzähltradition, weitaus intelligenter, als etwa Tom Sharpe, der die Mittelmäßigkeit seiner Satire zur hehren Maxime erhoben hat und dem Modern-Talking- Syndrom erlegen ist (Selbstrepetition), seziert Fry zunächst die britische Aristokratie, die Politik, das Bildungsbürgertum. Nicht jedoch, ohne eine subtil-ironische Liebe zu all dem zu offenbaren, etwas, das Fry mit vielen englischen Autoren gemein hat, denn es ist eine urbritische Eigenschaft, diese Haßliebe zum anachronistischen Empire mit all seinen Schrullen.


Dann schlägt er zu. Ich will nicht zu viel über den Inhalt verraten, denn das würde dem geneigten Empfehlungsfolgenden einige köstliche Überraschungen vorwegnehmen. Die Story um Ned Maddstone, den überaus beliebten Jungen, dem einfach alles gelingt, und der deshalb zum Opfer eines folgenschweren Streichs seiner neidischen Mitschüler und Nebenbuhler wird, ist brillant aufgebaut, zwingend, rasant, satirisch - und in einer Art erzählt, die nicht mehr einfach nur als "Tiefgang" bezeichnet werden kann.

Die vorbehaltlos ausgekostete Süße der Rache und der Genuß, listig gesponnenen Plänen beim Gelingen zuzusehen, stehen im Vordergrund des zweiten Teils, aber das Buch gibt sich dem nicht orgiastisch hin, wiewohl die Versuchung groß ist. Fry läßt auch seinen überragenden, später etwas morbiden Protagonisten das Schicksal nicht endgültig in die Knie zwingen, denn wir sind alle nur „der Sterne Tennisbälle“. Dies gilt auch und erst recht für Ned Maddstone, den Grafen von Monte Christo des Internet-Zeitalters.

Genial.


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