Die Stunden. Roman
Michael Cunningham, btb 2001
Virginia Woolf schreibt 1923 an "Mrs. Dalloway", Laura Brown liest 1949 in diesem Buch, und Clarissa, von ihrem schwulen Freund Richard "Mrs. Dalloway" genannt, lebt zur Jetztzeit in New York. Sie bereitet eine Party vor, denn jener Richard, im AIDS-Endstadium, wird für seine Lyrik den Carrouthers-Preis erhalten.
Cunningham erzählt abwechselnd die Geschichte eines bedeutsamen Tages im - wie sich schlußendlich herausstellt, stark verknüpften - Leben jener drei Frauen, der weltberühmten Autorin Virginia Woolf, der jungen Ehefrau und Mutter Laura Brown, gefangen zwischen Depression und Euphorie im klassischen Vorstadtleben, und Verlegerin Clarissa Vaughn, die mit der Heldin aus Woolfs Buch nicht nur den Vornamen gemein hat.
Der Autor richtet - gleich seinem zitierten Vorbild, jener berühmten Autorin, einer der drei "Heldinnen" - sein Hauptaugenmerk auf Reflexion und Betrachtung, auf Wahrnehmung und Achtsamkeit, auf Gefühle, Erwartungen, Selbstverständnis und Wünsche. Der Roman gelangt damit zu einer Wichtung, die vergleichsweise undramatische Ereignisse zu dramatischen Höhepunkten werden läßt, und er ist einfach wunderbar, anheimelnd, elegant, wohlig, vereinnahmend, intelligent und sehr, sehr achtsam erzählt.
Das viel zu kurze und dennoch enorm ablaufstimmige Buch hat nicht umsonst den Pulitzer, den PEN/Faulkner-Award und einige andere Preise abgeräumt. Dringende Empfehlung - und auch wenn "Die Stunden" als Frauenbuch gehandelt wird, durchaus für alle Geschlechter.