Strategie. Roman.
Adam Thrilwell, S. Fischer 2004

Die Stärke dieses Buches ist seine formale Seite, der Bruch mit dem Herkömmlichen, die Anarchie des Aufbaus, die willkürliche Dramaturgie, der Nonkonformismus der Perspektive, der erzählerische Ansatz. Seine Schwäche liegt im Sprachlichen, im Duktus, erzwungen auch durch die formale Unkonventionalität. Sein Neckbreaker ist das Fehlen jeglicher Spannung. Das Buch ist darüberhinaus eigentlich völlig uninteressant.

Moshe und Nana verstehen Sex als klimaktischen Aspekt ihrer Beziehung. Das ungleiche Londoner Paar - er ein eher kleiner halbjüdischer Schauspieler, aber "nicht einmal beschnitten", sie eine intelligente, platinblonde Schönheit, zehn Zentimeter größer als Moshe - strengen sich bis zur Selbstaufgabe an, richtig guten, erfüllenden Sex zu haben, aber je mehr sie sich bemühen, umso fataler, erfolgloser, peinlicher wird es. Moshe liebt Nana über alles; Nana ist sich umgekehrt nicht so sicher, gibt aber ihr Bestes. Als Anjali auf den Plan tritt, die Nana liebt, aber mit Moshe jenen Sex hat, den Nana und er so gerne hätten, wird alles nur noch schlimmer, ganz im Gegensatz zur großen Hoffnung, die das Paar bezüglich dieser Menage-a-trois hegte.

Der Sex, durchaus vordergründig geschildert, aber nicht um der Schilderung willen, sondern um das zugrundeliegende, dramatische Mißverständnis zu unterstreichen, hat - bei aller Deftigkeit - symbolischen Charakter. Den seitenlangen und akribischen Darstellungen fehlt auch jegliche Erotik; Moshes und Nanas Gedanken etwa beim devoten Analverkehrsversuch pendeln zwischen überzogen kritischer Selbstbetrachtung und Ängsten um das Verständnis des jeweils anderen, was einem erotischen Grundgefühl, das ohnehin nur imaginiert war, völlig den Garaus macht. Es ist das Paradigma, das verkehrt ist, nicht der Sex - in anderen Worten: Die Strategie (das Buch heißt im Original "Politics"). Aber nicht nur darauf bezieht sich der Titel, sondern hauptsächlich auf den amorphen, scheinbar willkürlichen, zunächst nicht unbedingt lesefreundlichen Aufbau, den der fünfundzwanzigjährige Thirlwell gewählt hat, um exemplarisch jene Mißverständnisse der menschlich-emotionalen Interaktion zu verdeutlichen, die Anstrengungen, es jemandem, auch sich selbst recht zu machen, der auf dieser Ebene eine - falsche - Befriedigung sucht. Es geht um die Liebe, die glückliche, glückbringende Liebe, und die zerstörerische Fatalität eines verkehrten Ansatzes.

Peinliche Dinge tut man, um die Peinlichkeit vor der peinlichen Aktivität hinter sich zu bringen, schreibt Thrilwell, und unterstreicht das mit einer Anekdote, bei der Hitler - angeblich - eine Journalistin bat, ihn zu treten. Solche Exkurse und - manchmal belehrende - Weisheiten streut der Autor gehäuft in den Text, während er den Leser anspricht, seine Meinung bezüglich der erzählten Geschichte vorgibt, gar den Leser bevormundet. Literarisch ein origineller und interessanter Ansatz, streckenweise auch amüsant, und natürlich mit viel Situationskomik versehen, schließlich ist Thrilwell Brite. Aber eigentlich nervt das Buch hauptsächlich, will sich nicht öffnen, bleibt inhaltlich oberflächlich und schrecklich uninteressant. Eine krude, skurrile Lektüre, die als sprachlich-dramaturgisches Experiment ein gewisses Vergnügen bereitet, als Roman aber eine nicht so große Nummer ist.

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