Stark, der Traumdetektiv. Roman.
Michael Marshall Smith, Rowohlt 2001
Irgendwo in einem der "Anhalter"-Romane von D. Adams heißt es (aus dem Gedächtnis zitiert): "Übrigens, die Todesstrafe für die Vorstände von Versicherungsgesellschaften ist wieder eingeführt worden." - "Für welches Verbrechen?" - "Hä?"
So ähnlich sollte es den Verantwortlichen bei Verlagen ergehen, die englische Titel übersetzen und damit den ersten Eindruck von Büchern so sehr verfälschen, daß die eigentliche Zielgruppe nicht mehr erreicht wird. Anders gesagt: Ich hätte mir "Stark" fast nicht gekauft, weil der Titel ja nun wirklich superblöd ist, und außerdem sieht's auf dem Cover aus, wie auf einem Hehnlein-Erstling. Davon abgesehen ist der Klappentext auch noch inhaltlich falsch. Nunwohl. Das Buch heißt im Original übrigens "Only forward".
Ich mag MMS sehr gerne, weil der Stil unheimlich persönlich, gleichzeitig sehr lakonisch, treffsicher und überaus bildreich ist. Davon abgesehen hat der Mann eine unfaßbare Phantasie. Und er vollbringt immer wieder - so auch hier - das Kunststück, eine Handlung sich so weit verzweigen zu lassen, daß man kaum mehr an ein "echtes" Ende zu glauben wagt - und dann klappt's doch noch.
Stark besitzt eine besondere Gabe, und diese Gabe prädestiniert ihn für besondere Aufgaben. Er verfügt über die Möglichkeit, jederzeit nach Taumland (*kein* Schreibfehler, es heißt *nicht* "TRaumland") zu gelangen, in die Zwischenwelt, in der wir von den Monstren unserer Träume gejagt werden, in der verdrängte Erinnerungen ihr Recht verlangen, in der das Unterbewußtsein das Bewußtsein regiert. Im Gegensatz zu allen anderen kann Stark im wachen Zustand dorthin, und er kann Leute mitnehmen, wenn er will. In diesem Fall den hochrangigen "Aktionisten" Alkland, den er eigentlich suchen sollte, weil man im "Zentrum" glaubte, er wäre
entführt worden. Das "Zentrum" ist der agile, ideenreiche, oberwichtige Kern der "City", die eigentlich die komplette Landmasse bedeckt, aufgeteilt in autarke Viertel, die "Geräusch", "Idyll", "Farben", "Katzen", "Rot", "Dreh" undsoweiter heißen. Jedes
Viertel hat seine Eigenart, in "Rot" ist es maßlose Gewalt, in "Katzen" herrschen eben jene.Der Roman erzählt so linear und zeittreu, daß man beim Lesen das Gefühl bekommt, die Zeiten würden sowohl im Buch, als auch beim Leser exakt gleich schnell vergehen, ein erstaunlicher Effekt. Dabei rast die Handlung mal voran, und dann wieder schwatzt Stark mit dem Leser - "unterschätzen Sie mich nicht!" -, übt sich in Psychologie, Weltbetrachtung, Selbstreflexion. Auf die Art fühlt man sich sehr eingebunden, den Figuren nahe, und *nur* auf diese Art kann das eigentlich höhepunktarme Buch funktionieren. Keine leichte Kost, gegen Ende recht grausam, und ansonsten vergnügliche, intelligente Lektüre.