Spektrum. Roman.
Sergej Lukianenko, Heyne, Februar 2008


spektrum

Die nahe Zukunft: In einigen irdischen Hauptstädten sind vor einiger Zeit Portale aufgetaucht, die rasantes Reisen auf ferne Planeten ermöglichen. Diese Portale werden vom seltsamen Volk der "Schließer" bewacht, die ihrerseits dem jeweils gastgebenden Land Pacht bezahlen, zumeist in Form von Alien-Technologie. Um Reisen antreten zu können, muss man den Schließern interessante, originelle und für die Schließer neue Geschichten erzählen. Nicht wenige Reisende scheitern schon beim zweiten Versuch, wenn sie als erstes ihre Lebensgeschichte erzählt haben, und sie stranden dieserart auf fremden Welten. Andere, wie der Moskauer Privatdetektiv Martin Dugin, besitzen die große Gabe, das Interesse der - miteinander vernetzten - Schließer jedes Mal aufs Neue befriedigen zu können. Dugin ist ein "Springer", der frei und beliebig oft die Portale nutzen kann, weshalb er zumeist auf der Suche nach Menschen ist, die eine Reise ohne Rückkehr angetreten haben. Ein russischer Geschäftsmann beauftragt ihn mit der Suche nach der siebzehnjährigen Tochter. Dugin findet sie auch recht rasch auf dem seltsamen Planeten "Bibliothek", aber Ina stirbt dort, quasi in seinen Armen. Doch es zeigt sich auch, dass diese Ina nicht die einzige Version ihrer selbst war - Dugin muss sechs weitere Welten bereisen, um alle Fassungen der jungen Frau zu finden, aber die Abläufe ähneln sich, nur die Planeten werden immer seltsamer. Davon abgesehen hat die Suche das Interesse unter anderem des russischen Geheimdienstes geweckt. Und auch die Schließer scheinen ihre Rolle zu spielen.

Der Roman ist in sieben Episoden aufgeteilt, von denen die ersten sechs jeweils mit Spektralfarben des Lichts betitelt sind; die letzte Episode heißt "Weiß". Die Abschnitte beginnen mit Prologen, die auf der Erde spielen, Dugin ruht sich in seiner Wohnung aus und kocht irgendwas - wie in vielen russischen Romanen spielt das Essen eine große Rolle. Der Detektiv wird dieserart als Underdog-Lebemann skizziert, eine Figurenzeichnung, die gut funktioniert. Und auch die Geschichten, die der Russe den Schließern erzählt, sind originell und lesenswert - meistens allerdings reflektieren sie das Geschehen, das kurz zuvor auf einer fremden Welt stattgefunden hat, weshalb hier eine Art Leserbevormundung mitschwingt. Es ist übrigens nicht unbeabsichtigt, dass die Erzählungen Dugins viel Ähnlichkeit mit biblischen Gleichnissen haben.

Kernthema von "Spektrum" ist nämlich der Glaube. Auf jeder der sieben Welten (acht eigentlich, wenn man die Erde mitzählt) herrscht eine andere, sehr eigenartige Weltsicht. Eines der Völker ist, zum Beispiel, sehr technikorientiert und weitgehend atheistisch, während die vogelähnlichen Bewohner einer anderen Welt mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter ihre Intelligenz ablegen und sich dem schicksalhaften, vorbestimmten Lauf ihres Lebens hingeben. Die junge Ina, die Dugin sucht, immer wieder findet und immer wieder verliert (der Ablauf der Episoden folgt einem sich wiederholenden Muster), scheint nicht weniger vorzuhaben, als das Rätsel des Daseins zu entschlüsseln. Dugin erkennt, dass er selbst Bestandteil dieses Rätsels - und seiner Lösung ist.

Lukianenko schreibt spannend, anschaulich und bildreich. "Spektrum" ist ein sehr lesbarer phantastischer Roman - witzig, unterhaltsam, intelligent. Die wiederholt auftretenden Elemente nehmen ihm allerdings einiges an Rasanz, und die Metageschichte, die die Episoden verbindet, hakt zuweilen. Davon abgesehen aber ist das ein solider, unkonventioneller, phantasiereicher Roman, der nicht selten überrascht, einiges an Zeitkritik enthält, aber um die schlussendliche Beantwortung der Kernfrage einen großen Bogen macht. Zum Glück. Größter Schwachpunkt: Die sehr halbseidene (und augenzwinkernd gemeinte) Erklärung für die Vervielfachung Inas. Ansonsten empfehlenswert.

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