SPASS - Eine Moritat.
Roman.
Will Self, Rowohlt 1998

 

An irgendeiner Stelle in diesem Buch habe ich eine Abzweigung verpaßt. Man frage mich, worum es geht - ich weiß es nicht.

Ian Wharton ist ein dickes Kind (viele Figuren von Self sind übrigens sehr fett), wächst an der englischen Küste auf, auf einer Art Campingplatz, den die alleinerziehende Mutter nach und nach zum "Country Club" ausbaut. Ian ist Eidetiker, besitzt - verkürzt gesagt - ein photografisches Gedächtnis, eigentlich aber viel mehr als das. Er kann sich in seine bildhaften Erinnerungen hineinversetzen, sich in ihnen bewegen, sogar zu Punkten, die aus dem ursprünglichen Blickwinkel nicht zu sehen waren. Die Fähigkeiten gehen noch weit darüber hinaus, wie Ian feststellt, als Samuel Northcliffe auftaucht, der monströs fette Dauergast auf dem Campingplatz der Mutter - ein altersloser alter Mann, mächtig, dröhnend, aufbrausend, zigarrenpaffend.
Northcliffe wird zu Ians Mentor, nimmt sich des vaterlosen Kindes an, und führt ihn in eine seltsame Welt der Gewalt, der Manipulation. Dann verschwindet "Der Dicke Kontrolleur" wieder, und taucht erst viel später erneut auf, als Ian erfolgreicher Marketingmanager ist.

Der verführerische Klappentext läßt etwas in Richtung "American Psycho" vermuten, aber die Klappentexter sind genauso vorgegangen, wie es die Produzenten von Kinotrailern machen: Die besten Stellen zusammengepappt, das isses. Natürlich gibt es - auf einem guten Dutzend der über 400 Seiten - Gewaltszenen, verwirrende, bestialische Hinrichtungen (womit ich nicht sagen will, daß das die *wirklich* guten Stellen des Buches sind - eher im Gegenteil), die Ian möglicherweise tatsächlich erlebt, vielleicht in einer Art schizoider Trance, aber andererseits kann das alles - inklusive der Erlebnisse mit Dem Dicken Kontrolleur - auch Phantasie sein, Traum, traumatische Imagination. Ich weiß es nicht, es hat sich mir nicht erschlossen, die Bildhaftigkeit war mir zu vorder- oder hintergründig. Auch die Erläuterungen des Übersetzers, leider erst am Ende, die die Figur des Dicken Kontrolleurs erläutern (eine Art Märchenfigur aus britischen Kinderserien), halfen nicht großartig. Bleibt eine gemächliche Biographie, die ganz gut erzählt ist, ein bißchen was von Dodges "Kunst des Verschwindens" hat, aber zumindest mich nirgendwo hingeführte. Dieser Erstling - 1993 erschienen - kommt sprachlich originell und stimmig daher, entwickelt aber einen faden Abgang.

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