Seitensprünge. Roman.
Ben Elton, Goldmann 2001
Sam Bell und seine Frau Lucy wollen ein Kind, Lucy ein bißchen mehr als Ben, jedenfalls zunächst. Um, wie Lucys Freundin Drusilla vorschlägt, die emotionale Distanz zu verringern, schreiben beide Tagebücher. Der Roman "Seitensprünge" besteht ausschließlich aus diesen Tagebucheinträgen.
Sie sind Anfang dreißig, und weitgehend "gesettelt", wie man so sagt: Sam arbeitet bei der BBC, welchen Titel er dort trägt, weiß er selbst nicht so genau: Die Medienbranche ist einem permanenten Wandel unterworfen, die alte Lady BBC versucht auf ihre Art, der Entwicklung hinterherzuhumpeln. Ob er nun Chief Executive Controller/Comedy South oder Product Manager, Entertainment/TV ist, das steht in den Sternen. Sein Job besteht hauptsächlich darin, mit abgefahrenen Comedians Mittag zu essen, um Vorschläge für neue TV-Formate zu diskutieren. Viel lieber wäre er auf der anderen Seite, ein erfolgreicher Autor, dessen Scripte zu Serien, Fernseh- oder sogar Kinofilmen werden. Nigel, der Chef, hat ihn auf der Abschußliste. Als sich die Gelegenheit bietet, wird Sam auf das Abstellgleis "Radio" geschoben, um eine kaltschnäuzige Moderatoren-Diva zu betreuen. Lucy arbeitet in einer Medienagentur, die u.a. den erfolgreichen, smarten Filmstar Carl Philipps betreut. Philipps macht ihr schöne Augen, aber Lucy ist ganz der Idee verfallen, Mutter zu werden: Ihr Leben dreht sich einzig um diesen Gedanken.
Aber es klappt nicht. Spermatests, Unterleibsuntersuchungen, Verträglichkeitsprüfungen, Vögeleien bei Vollmond auf dem Primrose Hill, das Paar läßt nichts unversucht, dem Kinderwunsch auch Taten folgen zu lassen - sechs lange Jahre schon. Sam, der lakonische Medienbeamte, betrachtet die Anstrengungen aus einer sehr männlichen Perspektive, grübelt über Abschußmengen und Onanierzeiten, während er mit seinen Leidensgenossen im Wartezimmer sitzt, um die xte Ladung Spermien abzuliefern. Lucy hingegen bewertet jedes noch so kleine Anzeichen hoffnungslos über, stürzt mit dem Eintreten jeder neuen Periode tiefer ins Loch, sieht ihre Eingeweide als einen verrotteten, nutzlosen Haufen roten Fleisches - und das, obwohl die Tests ergeben, daß eigentlich alle Ampel auf grün stehen.
Das sehr, sehr amüsante Buch ist aber weitaus mehr, als die Geschichte eines jungen Paares mit Kinderwunsch. Elton, der zu den Top-Comedians und -Autoren Englands gehört, und aus dessen Feder u.a. die Serie "Black Adder" stammte, vermengt die liebevoll-satirische Babygeschichte mit tiefen Einblicken in die Medienwelt. Abgehalfterte Rockstars und extrem hippe Komiker geben sich die Klinke in die Hand, während Sam auf die Idee kommt, die Tagebücher - schließlich auch diejenigen Lucys - zu einem Drehbuch zu verarbeiten. Die Idee wird zum Erfolg, aber auch zum Auslöser einer noch viel schlimmeren Krise. Und ausgerechnet Carl Philipps, mit dem Lucy dann doch fast fremdgegangen wäre, soll die Rolle des Hauptdarstellers besetzen ...
Im Gegensatz zu den selbstverliebten und häufig nicht wirklich komischen Büchern, die vor allem deutsche Autorinnen wie Susanne Fröhlich und Ildiko von Kürthy en masse auf den Markt werfen, bietet "Seitensprünge" vergnüglichen Lesestoff auch für Menschen, die nicht thematisch involviert sind. Die größte Leistung Eltons besteht darin, daß der Mann/Frau-Perspektivwechsel glaubwürdig ist, davon abgesehen ist das Buch einfach sehr witzig, und es geht trotzdem sehr zartfühlend, fast achtsam mit seinen Protagonisten um. Fein!
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