Der Schrecksenmeister.
Märchen.
Walter Moers, Piper, September 2007

Echo, das Krätzchen (eine Kratze unterscheidet sich von einer Katze dadurch, dass sie alle Sprachen zu sprechen in der Lage ist), streift durch die Straßen von Sledwaya, der ungesündesten Stadt Zamoniens. Seit Echos Frauchen gestorben ist, leidet die Kratze Hunger, und die pausenlos kranken Einwohner zeigen kein Mitgefühl. In fast schon erbärmlichem Zustand trifft Echo auf Succibius Eißpin, den Schrecksenmeister Sledwayas. Der die Stadt beherrschende Bösewicht, der des Nachts seine bluttrinkenden Ledermäuse aussendet, um die leidenden Bürger mit noch mehr Krankheit und Seuche zu malträtieren, bietet Echo einen Handel an. Die Kratze wird für einen Monat alle kulinarischen Genüsse erleben dürfen, die es in Zamonien gibt, fürstlich bewirtet und unterhalten werden, und am Ende des Monats wird sie sterben, damit Eißpin ihr Fett auskochen kann. Dieses entfaltet seine alchimistische Wirkung nämlich nur, wenn es freiwillig gegeben wird. Echo hat nichts mehr zu verlieren und schließt den Pakt ab, um Eißpin in sein grausiges Schloss über den Dächern von Sledwaya zu folgen. Dort wird die Kratze tatsächlich über alle Maßen vortrefflich gefüttert, was eine maßlose Untertreibung ist, lernt zugleich die Geheimnisse der Alchimie kennen, und nebenbei Figuren wie den einäugigen Schuhu Fjodor F. Fjodor, der ein Sprachproblem hat, oder das Gekochte Gespenst, die tödliche schneeweiße Witwe und viele andere. Als der Tag der Hinrichtung näherrückt, schmiedet Echo Fluchtpläne, die die Kratze zur einzigen verbliebenen Schreckse Sledwayas führen.
Das Problem, wenn man denn von einem Problem sprechen möchte, mit dem dieses Buch zu kämpfen hat, das die schwere Nachfolge von "Die Stadt der träumenden Bücher" antritt, besteht darin, dass die eigentliche Handlung nebensächlich ist. "Der Schrecksenmeister" ist niemals wirklich spannend, sondern relativ vorhersehbar und deshalb selten überraschend, was die Dramaturgie anbetrifft. Davon abgesehen gibt es einiges an Widersprüchen und ungeklärten Fragen.
Aber diese Mankos gleicht der Großmeister des Orm, Hildegunst von Mythenmetz, durch seine überbordende Phantasie und einen niemals endenwollenden Strom von Einfällen aus. Alleine die kulinarischen Genüsse, die Schrecksenmeister Eißpin der Kratze serviert, oder ihre Zubereitung (etwa das Braten eines einzelnen Fischeis am Ende einer Stecknadel unter einem Mikroskop) suchen ihresgleichen in der zamonischen Literatur. All die Figuren, Sagen, kleinen und großen Geschichten, und nicht zuletzt die Illustrationen machen das Buch - in gewohnt vortrefflicher Übersetzung durch Walter Moers - zu einem amüsanten, kurzweiligen Lesegenuss, der auch in der deutschen Belletristik konkurrenzlos sein dürfte.

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