Wilde Schafsjagd.
Roman.
Haruki Murakami, Suhrkamp 1997

So richtig wild ist das Buch nicht, und einem echten Schaf begegnet der Protagonist genauso wenig, ein - wie immer bei Murakami - namenloser Held aus Tokyo. Er ist neunundzwanzig und betreibt eine Werbeagentur, zusammen mit einem Kumpel, der tagsüber sehr solide wirkt - im Gegensatz zu unserem Helden -, sich aber gnadenlos die Hucke zusäuft. Auch der Protagonist gönnt sich gerne mal ein Bierchen oder zwei, hat eine Freundin, die eher bläßlich scheint, aber als Buchkorrektorin, Ohrenmodell und Callgirl arbeitet, davon abgesehen über sehr interessante Fähigkeiten verfügt. Wir schreiben 1978.

Eines Tages taucht ein etwas seltsamer, glatter, sehr seriöser Mann in der Agentur auf. Er fordert, daß eine Publikation eingestampft wird, die die beiden für eine Versicherungs-gesellschaft hergestellt haben, unter Verwendung eines Fotos, das der Held von seinem verschollenen Freund "Ratte" zugeschickt bekommen hat: Eine Schafweide irgendwo in den Bergen. Eines der Schafe auf dem Bild ist nicht wie die anderen. Es ist das Überschaf, das mysteriöse, kraftspendende Traumschaf, ein Tier, das sich besondere Menschen als Wirt sucht, um seinen anarchistischen Willen in der Welt durchzusetzen. Unser Held wird beauftragt, dieses Schaf zu finden, und eine Odyssee beginnt, die knapp einen Monat dauert. Schafft er es nicht, wird seine Existenz vernichtet, nicht mehr, nicht weniger.

Im Klappentext ist von einem "Detektiv-Roman mit Science-Fiction-Elementen" die Rede. Aber das stimmt nicht. In einer etwas spröden, aber sehr lesbaren Diktion erzählt "Wilde Schafsjagd" von einem Protagonisten, der clever ist, aber passiv, der die richtigen Schlüsse zieht, aber die Richtung nicht kennt, in die sich die Dinge entwickeln. Natürlich ist er auf der Suche, allerdings nicht wirklich auf einer Jagd, und am Ende wird nicht das Schaf aus Fleisch und Blut gefunden, sondern dasjenige in uns allen: Die grandiose Dummheit, mit der sich einige von uns die Welt zurechtzubiegen versuchen. Das Schaf steht für den nutzlosen Willen, die Dinge und Menschen zu unterwerfen, für den Geschmack der Macht.
Vielleicht. Wie immer bei Murakami steht die Eindeutigkeit und Klarheit der Figuren in einem krassen Gegensatz zum Kontext und zur Handlung; was man zwischen den Zeilen findet, liegt im Ermessen des Lesers, jedes einzelnen. Allerdings bietet "Wilde Schafsjagd" deutlich mehr Identifikations- und Auslegungspotential, als etwa "Mister Aufziehvogel", liest sich flüssig, spannend, ist überaus exakt beobachtet. Wer allerdings ein Lesevergnügen erwartet, das mit dem Ende endet, ist bei Murakami auf dem falschen Dampfer. Generell und in diesem Einzelfall.


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