Rausch. Roman.
John Griesemer, Marebuchverlag 2003
Vor nicht ganz 150 Jahren, mitte des neunzehnten Jahrhunderts, bestand zwischen Europa und Amerika keine direkte Kommunikationsverbindung - kaum mehr vorstellbar in Zeiten von Internet, Satelliten und Globalisierung. Informationen wurden "verschifft", die Nachricht von Lincolns Tod (1865) etwa erreichte den alten Kontinent erst Tage später.
Chester Ludlow, ein junger, charismatischer Ingenieur aus Neu England, wird zum federführenden Leiter des ambitionierten Atlantikkabel-Projektes, das zunächst Irland und Neufundland per Telegraphie verbinden soll. Ein illustres Konsortium aus teilweise recht halbseidenen Industriellen sorgt zwar für die Vorfinanzierung, aber die eigentlichen Geldmittel muß Ludlow aufbringen, indem er wochenlang Abend für Abend als Star einer Art Jahrmarktsshow auftritt, deren Kern ein monströses Illusionsspektakel namens "Phantasmargonium" darstellt. Der Schweizer Joachim Lindt, ebenfalls Ingenieur, hat sich das Spektakel erdacht; seine wunderhübsche und promiske Frau Katarina begleitet am Flügel. Daheim, an der Küste von Maine, sitzt Ludlows Frau Franny tagelang im Kinderzimmer der verstorbenen Tochter Betty, um schließlich mit Chesters esoterischem Bruder Otis Séancen zu verstalten, um mit dem toten Kind in Kontakt zu treten. Währenddessen entspinnt sich eine heiße Liebesbeziehung zwischen Chester und Katarina Lindt.
Doch die ersten Versuche, das tausende Meilen lange Kabel zu verlegen, scheitern.
Griesemers Roman, der im Original "Signal & Noise" (Signal und Rauschen) heißt, strickt ein buntes, eindringliches Handlungsmuster, ein Pandämonium von Figuren, eine virtuose Mischung von Esoterik und Technik, allerdings bleibt er sprachlich weit hinter den hoch gehandelten "jungen" Romanciers wie Franzen, Eugenides und Kollegen zurück - auch in der Übersetzung, die immerhin Ingo Herzke verfaßt hat, der u.a. für A. L. Kennedys deutsche Fassungen sorgt. Das Buch nutzt bewußt Techniken, die bei zeitgenössischer Literatur verpönt sind, greift auch gerne auf merkwürdige Zufälle zurück, aber immer mit einem selbstironischen Augenzwinkern.
Ein lesbarer, etwas zu lang geratener Schmöker, der reichlich Zeitcolorit, halbwahre historische Hintergründe und vergüngliche Ausflüge in die Welt jenseits der technischen Wahrnehmbarkeit bietet. Keine große Literatur, aber ein schönes Feierabendbuch, das ganz nebenbei die atemlose Hetze des Informationszeitalters persifliert.