Das Parfüm. Roman.
Patrick Süskind, Diogenes 2002



Ein Buch, das so ein gigantischer Erfolg war - und immer noch ist -, kann man nur entweder ignorieren oder mit der Kneifzange anfassen. Tatsächlich hat sich mir nicht offenbart, worin das Geheimnis dieser recht einfachen Geschichte besteht.

1783, im stinkenden Paris, wird Jean-Baptiste Grenouille geboren, genaugenommen in die Welt geschissen: Seine Mutter entledigt sich des Säuglings, indem sie ihn beim Fischeausweiden am Marktstand in die stinkenden Eingeweide der toten Fische fallen läßt, direkt aus dem Uterus, sozusagen. Doch Jean-Baptiste überlebt. Seine Fähigkeit, olfaktorisch wahrzunehmen, übersteigt alles dagewesene, gleichzeitig verfügt der eigenbrötlerische, duckmäuserische Typ über keinen Eigengeruch - er riecht alles, riecht aber nach nichts. Seine Wahrnehmung der Welt wird bestimmt durch diese eigenartige Besonderheit. Sehr bildhaft und anschaulich erzählt Süskind davon, wie sich die olfaktorische Welt von derjenigen unterscheidet, die unsereins zur Kenntnis nimmt. Grenouille kann sich bald vollständig von der eigenen Nase führen lassen. Er wird Geselle bei einem Parfumeur, dem er zu ungeahnten Erfolgen verhilft, denn Grenouille kann die Zusammensetzung eines beliebigen Parfums anhand des Geruchs nachahmen - und Kreationen schaffen, die so fein nuanciert sind, daß die Käufer Schlange stehen.

Menschen, die so eigenartig sind, haben ihre Schwierigkeiten in der Welt - *hätten* sie, wären sie nicht ohnehin so misanthrop wie unser Nasenheld, übrigens, ohne es geworden zu *sein*. Er entdeckt, daß ganz bestimmte Menschen - jungfräuliche, wunderschöne Frauen - ihr ganz besonderes Eigenparfum haben, das hauptverantwortlich ist für den Reiz, den sie auf andere ausüben. Grenouille setzt alles daran, dieser Gerüche Herr zu werden. Schlußendlich mordet er 25 Frauen, um aus ihnen das beste aller Parfums zu destillieren, eines, das ihm ermöglicht, die Macht der Nase völlig zu beherrschen. Als er es geschafft hat, kann er alle Menschen nach Belieben manipulieren - die Welt liegt ihm zu Füßen.

Sehr kenntnisreich, mit vielen feinen Details und auch rechtschaffen gut erzählt kommt diese Geschichte, aber irgendwas scheint ihr zu fehlen, etwas, das durch die Originalität der Ausgangssituation und die brillante Recherche überdeckt wird: Eigentlich fehlt die Geschichte in der Geschichte, denn ein Konflikt, eine Entwicklung läßt sich nicht ausmachen. Diesem Umstand trägt das etwas merkwürdige und wenig erklärliche Ende durchaus Rechnung. Ein irgendwie ganz nettes Buch über einen Sonderling, aber irgendwie auch ein Buch, das mehr zu sein scheint, als es ist.


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