Der Papierkönig. Roman.
Hansjörg Schertenleib, Aufbau 2003


Reto Zumbach, Journalist beim Hamburger Abendblatt, gebürtiger Schweizer, Anfang dreißig, macht sich auf den Weg nach Irland, weil er ein Buch schreiben will: Die wahre Geschichte eines Mordes, begangen vom sechzigjährigen Papierfabrikanten Richard Kolk - ein Deutscher mit Ferienhaus an der irischen Küste - am Torhüter des FC Zürich, Daniel Kienast. Ein Verbrechen aus Leidenschaft, sofern man bei dem nüchternen, berechnenden Unternehmer von Gefühlen reden kann: Kolk wollte, bekam dann auch Natalie - gegen ihren Willen -, die Partnerin des Fußballstars - zufällig auch die beste Freundin von Zumbachs Schwester, was letztlich der Anlaß dafür ist, daß er die Geschichte erzählen will. Natalie befindet sich seither in der Psychiatrie, Kolk sitzt im irischen Knast und schreibt ruppige, aber wohlformulierte Briefe.

Schon anfangs, als Zumbach auf der Fähre unterwegs ist, erfährt der Leser viel über diesen unentschlossenen, weichen, für allerlei emotionale Einflüsse anfälligen Journalisten, der seinen Eltern vorgaukelt, beim "Spiegel" zu arbeiten, der immer noch seiner großen Liebe Stefanie nachhängt, trotz aller Demütigungen durch die viel stärkere, selbstbewußtere Frau. Und so erzählt der Roman vier Geschichten: Eben jene von der vergangenen Liebe, jene von der Suche nach den Schauplätzen der Mord-Vorgeschichte, jene von Natalie, die in der geschlossenen Abteilung sitzt, und die von Kolk, der Zumbach einige Briefe geschickt hat. Zumbach bewegt sich durch Irland, folgt der Spur der tragischen Urlaubsreise des frischverliebten Paars, aber gleichzeitig ist er sehr passiv, nimmt zur Kenntnis - die Dinge passieren ihm. Seine größte, aktivste Leistung besteht darin, sich überhaupt auf den Weg zu machen. Er ist insofern ganz Journalist, Chronist, aber gleichzeitig fehlt ihm die Fähigkeit, sein eigenes Leben von dem zu trennen, was Gegenstand seiner Recherchen ist. Das Buch - Zumbachs Buch - ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

"Der Papierkönig" scheint unglücklich betitelt, aber hier wie auch ansonsten im Roman nehmen vordergründige - wie diese - und weit weniger vordergründige Doppeldeutigkeiten großen Raum ein. Die Suche, die stattfindet, ist auch die Suche nach dem eigenen, verlorenen Leben; obwohl noch vergleichsweise jung sieht die Bilanz von Zumbachs Leben niederschmetternd aus.

Ich bin hin- und hergerissen, denn das Buch ist fantastisch erzählt, Schertenleibs Sprachgewalt und Bilderreichtum nehmen den Leser sehr schnell für sich ein. Seine Figuren sind plastisch, seine Geschichten sind spürbar, seine Beschreibungen erzeugen fast visuelle Eindrücke. Lange, lange habe ich keinen deutschsprachigen Roman mehr gelesen, der so vortrefflich geschrieben war. Aber, aber. Irgendwas an der Geschichte stimmt nicht - viele Motivationen, Ursachen, Zusammenhänge bleiben unscharf bis völlig unerklärt, Schertenleib stößt seine Hauptfigur ein bißchen zu sehr herum, das Ende hat reichlich unbefriedigende Züge, eigentlich stiehlt sich der Autor aus der Verantwortung. Dennoch lohnt sich das Buch, alleine eben wegen der Tatsache, daß es sprachlich rundum überzeugt.

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