Orlando Furioso.
Roman.
Thomas R. P. Mielke, Rütten & Loening (Aufbau)

 

Obwohl Mielke im Klappentext - zu Recht - als "Meister des historischen Romans" bezeichnet wird, ist "Orlando Furioso" in dieser Hinsicht mit Vorsicht zu genießen, denn das monströse Buch ist nur insofern ein historischer Roman, als ein frühmittelalterlicher Stoff - jenes umfangreiche Epos gleichen Namens, das Shakespeare und Tolkien inspirierte - verarbeitet wird. "Der rasende Roland" spielt zwar zur Zeit Karls des Großen, und der Kampf gegen die heidnischen Sarazenen, die das komplette südliche Europa im Würgegriff halten und vor den Toren von Paris stehen, stellt eine der vielen Kernhandlungen dar - aber damit hat sich's auch fast schon. Auf die "historischen" Fakten ist wenig Verlaß; davon abgesehen geben sich mythologische Figuren, Sagengestalten, Magier, Erzengel und Götter quasi die Klinke in die Hand, während Aberdutzende von Kaisern, Königen, Rittern, Prinzessinnen, Adels- und Edelpersonen durch dieses hochkrompimierte Mammutwerk hechten, von einem Duell, einem amourösen Abenteuer ins nächste, es wird geliebt, gekämpft, geschlachtet, gefressen und geritten, pausen- und atemlos, letzteres extrem schnell übrigens: Mit welcher Geschwindigkeit die handelnden Figuren unglaubliche Strecken zurücklegen, gehört nur am Rande zu den vielen, gelegentlich verwirrenden Merkmalen der Erzählung, wohl auch der Vorlage.

Mielke hat mit diesem Buch sicherlich Großes vollbracht, stellt es doch die erste und damit bisher einzige Umsetzung des viele tausend Verse umfassenden Originals dar. Augenzwinkernd, in angemessener Diktion, schnörkelarm und dennoch sprachlich zwingend erzählt der Autor jene vielen Einzelepisoden um eine fast unübersehbare Schar von Haupt- und Nebendarstellern, die zumeist davon handeln, daß jemand betrogen wird, daß jemand kämpft, daß um Ehre, Weib und Land gestritten wird - und ab und zu ein bißchen gevögelt. Dabei folgt der Ablauf einem wiederkehrenden Schema, und sobald wieder eine der zahlreichen - kaum mehr als zufällig zu bezeichnenden - Begegnungen irgendwo in der Walachei stattfindet, (die Welt ist ein Dorf), werden Lanzen und Schwerter gezogen; ein Grund, sich zu kloppen, findet sich immer, erstaunlicherweise stolpern sich die Protagonisten pausenlos gegenseitig in die Arme. Blutreich wird die Ehre errungen, Opfer in der Zivilbevölkerung spielen keine Rolle, Hauptsache drauf, ja so warn's, die alten Rittersleut.

Und genau das ist das Problem. Die Handlung ist so irrsinnig, daß das Augenzwinkern kaum eine Chance hat gegen die ganzen abgeschlagenen Köpfe, Arme und Beine, das archaische Geschehen spottet sich quasi selbst, und es ist leider auf Dauer ein wenig langweilig, vorsichtig gesagt. Die Ehre, um die immer wieder gestritten wird, kann sich als Wert nicht behaupten, eine Tatsache, die die Geschichte inzwischen belegt hat: Andere Werte sind von weitaus größerer Bedeutung. Deshalb, und nicht nur deshalb, hat "Orlando Furioso" etwas von einem Kasperletheater; die hastige, fortwährend präsente Grausamkeit wird zum Treppenwitz. Das Schwert, das so viele Köpfe bis zum Nabel spaltet, mäht auch den gesamten - ohnehin schmalen - Kontext nieder.
Und damit wird diese mächtige Umsetzung zum kulturgeschichtlichen Dokument, das gleichzeitig ein enormer Anachronismus ist, denn es wiedersetzt sich nur scheinbar modernen Erzählstrukturen, es transportiert ganz im Gegenteil überkommene. Ob das wirklich erforderlich war, wage ich nicht zu beurteilen, zumal mir auch weitgehend Kenntnisse über die Vorlage fehlen, alleine: Dieser Wälzer unterhält streckenweise sehr gut, ist aber insgesamt gesehen ein hanebüchenes Kompendium einer Weltanschauung, für die mir ganz persönlich jegliche Empathie fehlt.


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