Die Netzflickerin
. Roman.
Maarten 't Hart,Die Arche 1998 (HC)


Roemer Simon Minderhout, der von seinem lebenslustigen, eloquenten, etwas lausbübischen Papa "Roemer" genannt wurde, während seine bodenständigere Mama "Simon" bevorzugte, ist das späte Kind der siebenundvierzigjährigen Ex-Witwe und ihres jungen Mannes. Die Geburt wird überschattet vom Tod des Zwillingsbruders, ein Ereignis, das man - neben einigen anderen - viel, viel später auf eine Liste mit Vorwürfen setzen wird, die gegen Minderhout erhoben werden. Der Tod eines Klassenkameraden, der Gift aus einer Bierflasche trinkt, der Anschlag seiner geistesgestörten Schwester auf sein _eigenes_ Leben, die Gespräche mit den "Moffen", den Nazis im besetzten Holland, und eine Vielzahl Geschehnisse mehr - alle, mit denen uns Hart im Laufe der Geschichte konfrontiert - werden dem alten Minderhout als Indiz dafür ausgelegt, daß er tatsächlich getan hat, was ihm fast achtzigjährig vorgeworfen wird: Verrat an einer holländischen Widerstandsgruppe. Dabei hat Simon nur die geheimnisvolle junge Frau gesucht, die Netzflickerin, die in seiner Apotheke Medikamente für den Untergrund holte, und die eine Nacht blieb,
für beide, wie sich später herausstellt, ein singulares Erlebnis, jedenfalls in dieser Qualität - ein Erlebnis, dessen Konsequenz Jahrezehnte später eine Hetzkampagne gegen den verschlossenen, zurückhaltenden, besonnenen Apotheker sein wird. Selbst seine lange verschollene Examensarbeit zum
"Judenhaß in der deutschen Philosophie" wandert in die Indizienkiste, hastig und ungelesen als antisemitistisch eingestuft.

Maarten t' Hart ist sehr populär in Holland, sein Roman ist auch ganz wundervoll geschrieben; der Übersetzer hätte allerdings ein paar holländische Begriffe und Ortsbezeichnungen streichen können - die kleinsten Völker haben die lustigsten Sprachen, vielleicht ist eines die Ursache des anderen, wer weiß. Die Kinder- und Jugendjahre Minderhouts, die ersten beiden Drittel des Romans, fließen überzeugend und sehr eindringlich zum Leser. Wie dann aus einer wenig haltbaren und ziemlich weit hergeholt anmutenden Behauptung die "Bedrohung" des alten Apothekers wird, wie ausnahmslos alle Ereignisse der Jugend zu seiner Belastung verkehrt werden, wie die Medien sich auf fadenscheinige Aussagen, Zeugen und Berichte stürzen - all das kommt ziemlich konstruiert, unwirklich daher, fast lächerlich aufgebauscht, in seiner willkürlichen Zufälligkeit unglaubwürdig.
Das ist schade, weil es am Ende den Eindruck erweckt, die Lebensgeschichte sei, so wundervoll sie auch erzählt ist, alleine zu dem Zweck entstanden, dieses fragwürdige Ende zu untermauern. Hinzu kommt, daß Hilflosigkeit, Zorn und die Wahrnehmung der Geschehnisse zwar eindringlich vermittelt werden, aber es läßt sich nicht herausfinden, worauf Hart hinaus will, ob es Medienkritik ist, allgemeine Lebensphilosophie, Diskussion der
Vergangenheitsbewältigung, Positionierung von Schuldfragen, ein bißchen von allem oder nichts von alledem. Schade.

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