Nele und Paul. Roman.
Michel Birbaek, Lübbe
2009

Nele und Paul

Kuschelrock

Paul ist Polizist auf dem Land, arbeitet aber seit Ewigkeiten - zusammen mit seinem besten Freund Rokko - in der Notrufzentrale. Sein Leben stagniert, seit ihn die beste Freundin und Langzeitgeliebte Nele vor neun Jahren verlassen hat. Neben Rokko sind die Fixpunkte in Pauls Leben die einbeinige, leicht alkoholkranke Mutter Mor, mit der er zusammenlebt, der seitwärts hüpfende Hund November und jene Klippe am Baggersee, auf der er früher so viele Abende mit Nele verbracht hat. Die ist inzwischen Topmodel und lebt, wie alle glauben, in Amerika.

Der Sommer scheint nicht weichen zu wollen, selbst Ende September herrschen noch über dreißig Grad, so auch an jenem Abend, als Paul ausgerechnet einen Notruf von Mor hereinbekommt. Die Mutter hat Schritte im Haus gehört, und alle glauben, jene Bande, die seit Wochen in der Gegend ihr Unwesen treibt, wäre räubernd zugange. Aber die Schritte im ersten Stock stammen von Nele, die plötzlich zurückgekehrt ist. Und genauso plötzlich ist alles wieder wie früher. Die alte Liebe entflammt erneut, als hätte es die Jahre der Trennung nie gegeben. Doch bei aller Liebestrunkenheit merkt Paul, dass etwas nicht stimmt. Als Nele einen Anfall hat, eine Art Aussetzer, bestätigen sich seine Befürchtungen. Er macht sich auf die Suche nach einer Erklärung.

Birbaek erzählt eine eigentlich simple Liebesgeschichte, das allerdings in wirklich schönen Worten und nicht selten sehr ergreifend. Gerade jene Momente, in denen Paul reflektiert, was ihn bewegt, sind von lyrischer Schönheit und einfach wunderbar zu lesen. Das gilt allerdings nur sehr eingeschränkt für alle anderen Momente. Die ich-erzählende Hauptfigur schwankt zwischen schnoddrig-cooler Schlagfertigkeit und übersteigerter Emotionalität. Nele bleibt Skizze, Rokko ist ganz Klischee, aber wenigstens auf unterhaltsame Art. Einzig Mor, die behinderte Mutter, verfügt über genug Ecken und Kanten, um als glaubwürdige Person durchzugehen. Alle anderen sortiert der Autor brav in Schubladen aus dem Ikea-Sortiment, wobei es - wie so häufig bei Birbaek - im Prinzip nur Gutmenschen gibt. Und wer es nicht schon ist, wird durch die Begegnung mit den Protagonisten zu einem, etwa der junge Benni, der das Haus von Neles Eltern verwüstet hatte, im Rahmen seiner Strafmaßnahmen aber zu einem super Kumpel mutiert.

Gegen Idylle ist nichts zu sagen, prinzipiell. Leider krankt das Buch an zwei Problemen: Zum einen wird die sehr lineare Geschichte vor allem im Mittelteil schrecklich langweilig, weil einfach nichts - wirklich nichts - geschieht; das Buch dreht sich um lange Dialoge und Szenen, die schlicht versanden. Und zum anderen sind jene Nebenhandlungen, die sich Birbaek ausgedacht hat, um die Liebesgeschichte zu unterfüttern, von fast schon peinlicher Belanglosigkeit, für die eigentliche Geschichte nahezu bedeutungslos und zudem auf so schlechter Recherche aufgebaut, dass man sich fremdschämt. Die Auflösung schließlich, so man von einer sprechen will, kommt eher willkürlich daher, wird aber in wenigen Sätzen abgehakt.

Das Buch ist manchmal so schön, dass man eine Seite mehrfach lesen möchte, weil es Birbaek vortrefflich gelingt, die Gefühle zu verworten, die mit großer Liebe, Verlustängsten und schlichter, ausufernder Freude am Moment zu tun haben - oder, einfacher gesagt: Mit Glück. Auch die Atmosphäre auf dem Land, den dampfenden Spätsommer, das entspannte, ländliche Miteinander zeichnet der Autor fantastisch nach. Leider täuscht das nicht darüber hinweg, dass dramaturgisch wenig läuft, dass die Nebenhandlungen grotesk überzogen oder komplett unsinnig sind und dass man die ganze Story auch auf zwei- statt vierhundert Seiten hätte erzählen können.

Ein nicht immer stimmiges Wohlfühlbuch wie eine Achtziger-Ballade auf einer Kuschelrock-CD: Drei Akkorde auf der Gitarre, ein paar Streicher und eine warme Stimme, die von ewiger Liebe singt. So lange ein "Die Ärzte"-Album danebensteht - kein Problem.

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