Mord im 31. Stock.
Roman.
Per Wahlöö, Rowohlt 2003

Der 1975 verstorbene schwedische Schriftsteller und Schöpfer von "Kommissar Beck" zeichnet in diesem 1964 erstveröffentlichten Roman ein utopisches Szenario: Alle Bedürfnisse der Menschen scheinen befriedigt, die Bürger sind quasi gleichgeschaltet, und die Hauptaufgabe der monopolisierten Medien besteht darin, die Leute ausschließlich mit positiven Nachrichten zu versorgen. Alkoholkonsum kann schnell in den Knast führen, und es gibt zwar offiziell kaum noch Selbstmorde, aber eine spürbar steigende Anzahl mehr oder minder natürlicher Todesfälle, dafür sinkt die Geburtenrate stetig. Es handelt sich nicht um eine sozialistische Gesellschaft; das System basiert auf einer obskuren staatskapitalistischen Marktwirtschaft. Wer genau und wie herrscht, wird nicht thematisiert.
Kommissar Jensen, die einzige Romanfigur, deren Name genannt wird, muss zu einem Einsatz in das zentrale Verlagshaus, in dem so gut wie alle Zeitungen und Zeitschriften des Landes fabriziert werden. Das angeblich dreißigstöckige Gebäude beherrscht das Stadtbild. Man hat eine Anschlagsdrohung erhalten, und der magenkranke, akribische Kriminalbeamte erhält von höchster Stelle den Auftrag, innerhalb von einer Woche den Verursacher der zunächst folgenlosen Drohung zu finden. Bei seinen sorgfältigen Ermittlungen erfährt er nach und nach Fakten über die Strukturen des Mediensystems, und er findet heraus, was im geheimgehaltenen 31. Stock des Verlagshauses geschieht: Dort arbeiten kritische Journalisten - die besten des Landes - schon seit Jahren an nie erscheinenden Publikationen. Obwohl diese "Sondergruppe" alle Freiheiten zu haben scheint, lehnt die Verlagsleitung jedes neue Konzept aus technischen Gründen ab - und niemals aus inhaltlichen. Ein goldener Käfig der besonderen Art also.

Das zeitlose Buch ist kein Thriller und eigentlich auch keine Kriminalgeschichte, sondern ein politischer Roman. Während man den spröden Ermittler, dessen Lieblingssätze "Vermeiden Sie überflüssige Bemerkungen" und "Ich verstehe" lauten, durch das fade und trostlos wirkende Szenario begleitet, verstärkt sich nach und nach das Unwohlsein über die gesellschaftlichen Strukturen und die alltägliche Glücklosigkeit des vermeintlichen Wohlstandssystems. Und man begreift am Ende, gemeinsam mit dem Ermittler, dass auch Ideale und Freiheiten zu Mordopfern werden können.

Obwohl oder gerade weil die autoritäre Diktatur, die in dem fiktiven Staat zu herrschen scheint, diffus bleibt und nie in Erscheinung tritt, wird die Gesellschaftskritik des Buches überaus deutlich. Da allerdings die Verbindung zu real existierenden Staaten fehlt, mangelt es der Kritik in gewisser Weise an Würze. Davon abgesehen aber ist "Mord im 31. Stock" ein bemerkenswertes und eigenartiges Buch, dessen Lektüre in jedem Fall lohnt.

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