Mehr Liebe. Anthologie.
Frank Schulz, Galiani, Berlin 2010


Mehr Liebe

Meine Verehrung

... für diesen Schriftsteller begann mit "Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien", dem zweiten Teil der "Hagener Trilogie", sie steigerte sich über "Kolks blonde Bräute", den ersten Teil, den ich leider erst nach "Morbus fonticuli" gelesen habe, und der den Literaturkritiker Gerhard Henschel zu der Äußerung veranlasste: "So hätte Arno Schmidt geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre". Den erst im Jahr 2006 erschienenen, abschließenden Roman "Das Ouzo-Orakel" erwartete ich offenbar zu vorfreudig, jedenfalls überzeugte mich das Buch nicht so recht, aber die Hochachtung blieb.

Nun legt Schulz mit "Mehr Liebe" eine Anthologie vor, eine mit "heiklen Geschichten", wie der Subtitel verspricht, und tatsächlich genügt jeder der zweiundzwanzig Texte der einen oder anderen Deutung dieses Adjektivs.

Es beginnt gemächlich, unschulzig quasi. "Seele mit Käse" und "Männertreu" sind unprätentiöse, lineare, ein wenig vorhersehbare Erzählungen. Dann folgt mit "Schorf" der erste Beitrag aus der "Trilogie der Gewalt". Schulz wechselt Perspektive und Duktus, ein Gefühl des Wiedererkennens stellt sich ein, und dann geht es Schlag auf Schlag. Neologismen, skurrile Figuren, absurde Pointen, Innen- und Außenansichten, Autobiografisches und Remineszöses, etwa in "Sehnsuchtsglühen", der Geschichte um Bodo Mortens (Hauptfigur der Hagener Trilogie) ersten Knutschfleck. Immer geht es um eine Fehldosierung der wichtigsten Emotion von allen, über zu viel oder zu wenig Liebe (also Mehrbedarf oder Mehrbesitz), und die Protagonisten sind tischtennisspielende Väter, Ehemänner auf Geschäftsreise (fantastisch: "Okay Blues" um den Mittfünfziger Kienast, der in Hamburg der Idee verfällt, eine Edelnutte zu bestellen), busfahrende Hopfenpflückerinnen, Penner, Ärzte, Griechenlandtouristen (zum Brüllen: "Am Ende wird geheiratet") und viele mehr. Schulz lässt keine Spielart aus, findet jede Facette, variiert und karikiert, aber nie auf Kosten seiner Figuren. Und immer meint man, der Autor säße hinter einem und sähe augenzwinkernd über die Schulter.

"Mehr Liebe" ist ein schönes Buch, aber das Adjektiv ist eigentlich zu flach. Es ist eine ganz besondere Sammlung, von großer Wucht und Eindringlichkeit, sprachlich weit über jeder Norm, präzise und zugleich verschnörkelt, spannend, lehrreich, amüsant, erschreckend und enorm unterhaltsam - und übrigens wohltuenderweise in alter Rechtschreibung verfasst. Das kriegt heutzutage auch nur noch Schulz hin.

Die Besprechung endet deshalb mit einer Begrüßungsformel:
Meine Verehrung.

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