Mariaschwarz. Roman.
Heinrich Steinfest, Piper 2008


Mariaschwarz

Wen interessiert schon, wer es getan hat?

Kriminalromane erzählen zumeist von Kriminalfällen und deren Auflösung, deshalb heißen sie so. Wenn aber "Kriminalroman" und gleichzeitig "Heinrich Steinfest" auf einem Buchcover steht, sollte man das nicht unbedingt erwarten.

Im belanglosen, meistens nebelverhangenen österreichischen Örtchen Hiltroff gibt es nicht viel Sehenswertes. Da ist ein mysteriöser See, dessen Wasser so schwarz scheint, dass er vom Volk "Mariaschwarz" genannt wird, da gibt es ein kubistisches Konferenzzentrum am Seeufer, in dem sich die Größen der Wissenschaft die Türklinke in die Hand geben. Und ansonsten? Ein etwas abgerissenes Hotel, das den Namen des Ortes trägt, und dessen Bar "POW!" seit drei Jahren allnachmittäglich von einem ortsfremden Mann namens Vinzent Oleander aufgesucht wird, der dort exakt acht Schnäpse trinkt, um das Procedere am nächsten Tag zu wiederholen. Er und der Wirt pflegen ein distanziert-ehrliches Wirt-Gast-Verhältnis, bis der eine - der Gast - eines Tages fast im See ertrinkt, um vom anderen - dem Wirt - gerettet zu werden. Quasi zum Dank erzählt Oleander dem eher unwilligen Barmann, weshalb er seit drei Jahren in Hiltroff verweilt. Oleander sucht nach seiner verschwundenen Tochter Clara, und der einzige Hinweis auf ihren Verbleib war der Name des Ortes - die letzten Worte eines sterbenden Mailänder LKW-Fahrers.

Als Jugendliche ein vermeintliches Seeungeheuer fotografieren, interessiert sich die Welt plötzlich für Hiltroff, darunter ein Team von Biologen, die mit einem U-Boot in den See tauchen. Dort finden sie aber kein Ungeheuer, sondern - unter anderem - ein menschliches Skelett. Das wiederum ruft den Wiener Ermittler Lukastik auf den Plan, den Steinfest in "Nervöse Fische" eingeführt hat. Seine Untersuchungen führen ihn nach Mailand, an den Comer See und wieder zurück nach Hiltroff. Dort befindet sich nämlich als dritte Sehenswürdigkeit eine kleine Fabrik, in der etwas hergestellt wird, das man als "Überraschungseier für Erwachsene" bezeichnen könnte. Spätestens hier beginnt der Roman, etwas unübersichtlich zu werden.

Aber Lukastik deckt die Zusammenhänge auf - mehr oder weniger. Irgendwann nämlich verliert er schlicht das Interesse daran, die Täter zu überführen oder jedes Detail aufzuklären. Stattdessen lässt er die Liebesbeziehung zu seiner Schwester wieder aufleben, nach siebenundzwanzig Jahren. Das ist ihm wichtiger, als letztlich herauszufinden, was es mit dieser besonderen Sammlung Ü-Ei-Figuren auf sich hat, oder alle anderen Mysterien zu lüften, die sich inzwischen um Oleander, seine Tochter Clara, das kubistische Konferenzzentrum, die Fabrik im Hinterland und einiges andere mehr ranken. Whodunnit? lautet die Grundfrage der meisten Kriminalromane. Whothefuckcares? lautet Heinrich Steinfests gegenfragende Antwort. Manchmal muss man das alles nicht wirklich wissen, oder?

Was übrigens keineswegs bedeutet, dass "Mariaschwarz" ein uninteressanter Roman wäre. Ganz im Gegenteil. Steinfests kommentierende Erzählweise, die pro Seite ein Dutzend zitierwürdiger Sätze bietet, zieht auch hier wieder schnell in ihren Bann. Diese Sprache, die man als literarisches Genuschel bezeichnen könnte, sprachlich Vollgas, aber immer nur im ersten Gang, als wäre es schöner, den lauten, kraftstrotzenden Motor zu hören, statt schnell voranzukommen. Da wird über Thomas Bernhard geplaudert, über die immanente österreichische Bestechlichkeit, über Tourismus, Befindlichkeiten der Mailänder Szene, Linguistik, Kunststoffproduktion und was weiß ich noch alles. Enorme Dichte bei verdünnter Handlung - Steinfest eben. Ein Genuss, wenn man nicht zuvorderst daran interessiert ist, wer bei was denn nun der Täter war. Was ja auch nicht wirklich wichtig ist, denn beide - Tat und Täter - existieren ja bestenfalls im Kopf des Autors.

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