Malibu. Roman.
Leon de Winter, Diogenes 2003



Geschehen hat Ursachen. Wenn ein Unglück passiert, etwa jemand überfahren wird, der bei grün einen Fußgängerüberweg nutzen wollte, neigen wir dazu, nur das Ende der Kausalkette zu betrachten: Wäre er nicht. Wäre der Autofahrer nicht. Hätte der Autofahrer nicht. Undsoweiter. Die Frage nach der Schuld, die Frage nach dem auslösenden Moment reduziert sich. Die schnelle Welt lebt davon, schnelle Antworten zu liefern. Die Ursache wird im Augenscheinlichen gesucht, im Vordergründigen. Zeit für erschöpfende Antworten nimmt sich kaum jemand. Auf welchem Weg war der Fußgänger? Warum? Und der Autofahrer? Warum gab es dort einen Fußgängerüberweg? Warum gibt es Autos? Dieses Auto? Fußgänger?

Mirjiam stirbt an ihrem siebzehnten Geburtstag bei einem Verkehrsunfall, während ihr Vater, der jüdische Holländer Joop Koopmann, Drehbuchautor in L.A., im Gespräch mit dem Jugendfreund Philipp de Gelder sitzt - und dieser ihn für den Mossad anwerben will. Mirijam ist seit der Scheidung Dreh- und Angelpunkt in Koopmanns Leben, selbst das sich abzeichnende Ende der Schriftstellerkarriere ist nachrangig: Er betet die Tochter an, liebt sie, manchmal vielleicht ein bißchen mehr, als zulässig wäre - zumindest in seinen Gedanken.
Umso härter trifft ihn die Nachricht. Koopmann bricht zusammen, gibt sich auf. Wäre da nicht der riesige schwarze Betreiber des Fitneßclubs "God's Gym" Godzilla, genannt God, auf dessen Motorradsozius Mirjam saß, bevor die große Harley auf einer Ölspur zu Fall kam und die schöne Siebzehnjährige von einem Ford Explorer getötet wurde. God verschreibt sich der Buße, dringt in Koopmanns Leben ein, um Wiedergutmachung zu leisten. Fast zeitgleich tritt Linda auf den Plan, mit der Koopmann als Jugendlicher eine heiße Affäre hatte. Er nimmt den Spionageauftrag an, die Liebe zu Linda erneuert sich wie von selbst, während God Ursachenforschung betreibt.

"Malibu" handelt weniger von diesen nicht wirklich zufälligen Begebenheiten und ihren Folgen, es handelt vielmehr von deren Ursachen, den willkürlichen und verketteten Umständen, die zu ihrer Entstehung führten - und zum nicht ganz schlüssigen, fast brachialen Ende, in tatsächlicher, wortwörtlicher Konsequenz. Bis dahin wendet de Winter seine enorme Erzählkunst auf, schlägt innerhalb weniger Absätze in seinen Bann, was dazu führt, daß sich das hochklassig verfaßte Buch in Trivialliteraturgeschwindigkeit lesen läßt. Leider bricht es so abrupt und unbefriedigend ab, daß man meint, es handele sich nur bei vier Fünfteln des Romans um die Endfassung und beim letzten Fünftel um den Abriß der eigentlich noch fehlenden 250 Seiten.

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