Natürlich Mängel. Roman.
Thomas Pynchon, Rowohlt

Natürlich Mängel

Vollkommen bescheuert

Larry "Doc" Sportello betreibt in Gordita Beach, einem Vorort von L.A., ein Detektivbüro, praktisch direkt am Strand. Doc ist kleinwüchsig, langhaarig, ständig von einer Mariuhanawolke umgeben und etwas ambulantem Sex nie abgeneigt. Seine seit einem Jahr nicht mehr gesehene Ex Shasta taucht plötzlich auf und bittet ihn um Hilfe. Letztlich geht es um das Verschwinden ihres Geliebten Michael Wolfmann, einem Immobilienbaron, aber schon der erste Ortstermin verwickelt den Kifferinvestigator in einen Mordfall. Schließlich wacht er, schwer halluzinierend, neben der Leiche eines Wolfmann-Bodyguards auf, und blickt in das reale Gesicht von "Bigfoot" Bjornsen, einem LAPD-Detective. Wir schreiben die frühen Siebziger. Die meisten Leute kiffen, kauen auf getränkten Löschblättern herum, hören Surfermusik und tragen schreiendbunte Klamotten, nicht selten paisleygemustert.

Der neueste Roman des mysteriösen Romanciers ("Die Enden der Parabel", "Vineland", "Mason & Dixon") liest sich tatsächlich vergleichsweise leicht, wenn man als Messlatte Pynchons sonstige Veröffentlichungen anlegt. Man versteht den Text, ohne ständig Literaturlisten wälzen oder Fremdwörterbücher zur Hand nehmen zu müssen, aber das bedeutet noch längst nicht, dass man auch dem Inhalt zu folgen in der Lage ist. Da gibt es eine Organisation subversiver Zahnärzte, eine faschistoide Truppe namens "Kalifornien Erwache!", ein seltsames Schmuggelschiff, das "Goldener Fang" getauft wurde, da wuseln drogensüchtige Drogenspitzel herum, von denen einer beispielsweise Bassist der Surfband "The Boards" war (oder immer noch ist), es tauchen sogar Zombies (metaphorische oder echte - wer weiß es?) auf, dann führt die Handlung plötzlich nach Vegas oder auf die Baustelle einer utopischen, kostenlos zu bewohnenden Siedlung, die Wolfmann gerade plante. Auf jeder Seite werden zwei, drei neue Figuren eher nachlässig eingeführt, zwischen obskuren Liedtexten und ziellosen Dialogen, von Charles Manson ist die Rede und von Richard Nixon, dessen Konterfei merkwürdigerweise auf gefälschten 20-Dollar-Noten zu finden ist, die irgendwie mit dem Schiff "Goldener Fang" zu tun haben. Die Schauplätze werden weggeraucht wie die Joints, die Doc Sportello ständig inhaliert, und so ab Seite 200 bestand mein einziges Interesse nur noch darin, diese total bescheuerte, absolut ungenießbare Schwarte möglichst schnell hinter mich zu bringen.

Die Kritiker feiern dieses Buch. Was bleibt ihnen auch übrig? Sie unterstellen alles mögliche, ziehen Vergleiche, interpretieren, enträtseln Hinweise und entschlüsseln akribisch, aber ich habe keine einzige Rezension finden können, in der erklärt wurde, wovon zur Hölle dieser stinkend langweilige Blödsinn handelt (oder was das Ende zu bedeuten hat). Fraglos wird sprachlich und stilistisch einiges geboten, und möglicherweise gäbe es für alles, was in diesem durchgeknallten Traktat passiert, auch eine schlüssige und nachvollziehbare Erklärung, die sich im Kopf des mysteriösen Schriftstellers befindet, aber solange sie dort bleibt, kann sie mir bitteschön gestohlen bleiben. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach trägt der Kaiser keine Kleider, aber im Gegensatz zum Kaiser im Märchen weiß er es. Und er findet das lustig. Für das Mysterium Pynchon gibt es insofern (nach der Lektüre seines Gesamtwerks) eine simple Erklärung: Der Mann veralbert uns.

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