Lunar Park. Roman.
Bret Easton Ellis, Kiepenheuer & Witsch 2006
To B.E.E. or not to B.E.E.Noch immer hört man von Leuten, die "American Psycho" gerade zum ersten Mal gelesen haben, Äußerungen wie "Der Mann muß aber mächtig einen an der Waffel haben". Ganz ähnlich lauteten einige Reaktionen damals, nach dem Erscheinen des Buches, das aus Bret Easton Ellis einen literarischen Superstar machte. Die einen feierten ihn, die anderen forderten seine Einlieferung, aber über ihn gesprochen haben sie alle. Die mediale Selbstinszenierung des Autors schien letztgenannten Recht zu geben. Ganz unabhängig davon gehört "American Psycho" - nicht nur meiner Meinung nach - zu den wichtigsten Büchern der letzten Jahrzehnte. Niemand sonst hat so kaltlächelnd die Querverbindung zwischen Konsum und Gewalt aufgezeigt. Kein anderer hat je so ohrenbetäubend seine Fingernägel über die polierte Oberfläche unserer Gesellschaft gezerrt. Und dabei noch so gut unterhalten.
Und was ist mit Ellis selbst? Wo endet hier der Autor, wo beginnt die Fiktion - oder, anders gefragt: Wie autobiographisch muß ein Werk sein, das auf so ernüchternde Weise brutal ist, das so wenig wertet, das uns so verstört zurückläßt? Die Antwort auf diese Frage liefert nun niemand anderes als der Autor selbst. Oder er scheint sie zumindest zu liefern.
"Lunar Park" beginnt wie eine Biographie. Ellis plaudert über eine Person namens Bret Easton Ellis, die Romane geschrieben hat, etwa "Unter Null", "Einfach unwiderstehlich", "Die Informanten", "Glamorama" und das genannte "American Psycho". Diese Figur hatte ihre Gründe, diese Bücher zu schreiben, und wir gewinnen Einblick in die Vita - vor und nach dem enormen Erfolg. Eine Person begegnet den Geistern, die sie selbst gerufen hat, und das ist auch das Thema von "Lunar Park". Wir erleben einen fertigen, unsicheren, verlebten, bindungsunfähigen, verkoksten und verkorksten Typen. Dieser Bret Easton Ellis ist exakt die Figur, die wir uns vorgestellt haben. So und nicht anders muß dieser überaus kranke Mann sein, der dazu in der Lage war, einen Börsenmakler namens Patrick Bateman bestialische Morde begehen zu lassen. So und nicht anders muß jemand drauf sein, der in einem Achthundert-Seiten-Roman ("Glamorama") ausgerechnet die Modebranche zur Keimzelle des Terrorismus' macht.
Aber damit nicht genug. Als die Kräfte erschöpft sind, zieht sich unser Bret aufs Land zurück, läßt eine jener Beziehungen aufleben, die nie wirklich geendet haben, und aus der vermeintlich sogar ein gemeinsames Kind hervorgegangen ist. Die bildschöne Schauspielerin Jayne Dennis gibt ihm eine zweite Chance, aber jener Ellis ist viel zu fertig mit der Welt, um auch nur ansatzweise die Situation beherrschen zu können. Was soll er auch hier, in der Reichenkolonie mitten im beschaulichen Nichts, mit Kindern, die ständig unter Medikamenten stehen, Creative-Writing-Schülern, die ihn mit belanglosen Geschichten zumüllen, Nachbarn, deren Sprache er nicht verstehen kann, weil sie in einer anderen Welt leben? Ellis wählt den einfacheren Weg, bleibt bei Drogen, Alkohol und Seitensprüngen. Aber dann beginnt die Realität plötzlich, sich zu verändern, mutieren harmlose Spielzeuge zu grässlichen Monstren, treffen erschütternde Mails ein, und irgendwo ist ein Massenmörder unterwegs, der das Verhaltensmuster der "American Psycho"-Hauptfigur Patrick Bateman exakt nachzuahmen scheint. Während sich Hauptfigur und Schriftsteller trennen, verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Was echt ist, weiß niemand mehr, aber irgendeines Geistes Schöpfung muß es ja trotzdem sein.
Ellis ist mit diesem Buch etwas wirklich Großartiges gelungen. Sein Protagonist ist genau die Figur, die die Medienwelt geschaffen hat, als sie mit dem Schriftsteller Bret Easton Ellis konfrontiert wurde. Alle Spekulationen, Gerüchte, Informationsfetzen, die die Literaturwelt durchreist haben, komprimiert Ellis in einer Komposition, die nichts weniger ist als ein Abbild unseres Abbildes. Dieses Buch ist eine Satire auf uns alle. Es ist eine grandiose Veralberung des Weltfeuilletons. Und darüberhinaus sehr unterhaltsam, zuweilen sogar spannend, und meistens ziemlich clever.