Lost in Music. Erzählung.
Giles Smith, Heyne 2002
In Colchester, sechzig Meilen von London entfernt, einem Ort, den die Hörer einer populären Radiosendung einmal zum langweiligsten Englands erkoren haben, gab es bis 1992 keinen erfolgreichen Popmusiker, wohingegen fast jede andere größere Stadt Englands Musikgeschichte schrieb. Nik Kershaw, der früher - natürlich - Nick hieß, wurde in einem zwanzig Minuten entfernten Kaff geboren. Mitte der Neunziger, als der Autor endlich seine eigenen Pläne aufgibt, ein Popstar zu werden - die er nicht nur hegte, um in Colchester ein Denkmal errichtet zu bekommen, letztlich aber auch -, gelangen die Albarn-Brüder zu großem Ruhm, unter dem Bandnamen Blur.
Giles Smith, Jahrgang 1962, erzählt seine ganz persönliche, Pop-orientierte Biographie, von Dingen wie Wahrheit und Lüge zum Thema "Mein erstes Album" (tatsächliche und öffentlichkeitswirksame Fassung), darüber, wie man mal Fan war (T. Rex, später XTC), wie man sein Pop-Verhältnis nach und nach professionalisierte, während sich der Pop parallel etablierte, selbst erwachsen wurde. Es geht um Bands wie Scritti Politti, Todd Rundgren, XTC, Blur, aber auch um Phil Collins, Madonna, Nik Kershaw. Es geht darum, wie sich die Plattensammlung entwickelt, was sie über den Sammler aussagt. Aber nicht nur das.
Giles Smith träumte immer davon, selbst ein Popstar zu werden, die Credits auf der Rückseite eines Albumcovers formulieren zu können, auf Tour zu gehen, Fans zu haben, schlicht: Reich und berühmt zu werden. Mit Phil, David, Annie ein paar Drinks zu zischen (Collins, Bowie, Lennox), nachmittags auf der Terrasse des Hauses in Beverly Hills, am Pool. Smith hat es versucht, zunächst mit den "Orphants of Babylon" und später dann, fast erfolgreich - aber nur fast - mit den "Cleaners from Venus", die immerhin bei RCA (Deutschland) einen Plattenvertrag hatten und anderthalb Alben veröffentlichen konnten. Irgendwann erkannte der Autor, daß das eigene Talent nicht ausreicht, um es wirklich an die Spitze zu schaffen. Smith wurde Musikjournalist - second best, sozusagen.
Diese überaus amüsante und sehr ehrliche, mit Anekdoten gespickte, häufig sogar weise Lebensgeschichte öffnet nicht nur den Blick für vierzig Jahre Popgeschichte, sondern enthält viel Wahrheit darüber, warum und wie Leute berühmt werden wollen, warum sie es als Künstler unbedingt schaffen möchten. Das hat dann mit Pop nur insofern zu tun, daß in diesem Fall das Musikbusineß gewählt wurde; viele Erläuterungen, Hintergründe und persönliche Einschätzungen gelten 1:1 für Autoren, Maler und Schauspieler. Eine lustige, kurzweilige Lektüre, die ihre wenigen Längen durch sprachliche Finesse und entwaffnende Offenheit ausgleicht.