Klebstoff. Roman.
Irvine Welsh,Kiepenheuer&Witsch 2002
Gluespotting
Terry, Billy, Andy und Carl wachsen in einem schottischen Großstadtghetto auf, über drei Jahrzehnte zeichnet der deutlich zu lange Roman ein Gesellschaftsbild, verfolgt die tragische, gelegentlich amüsante, manchmal nahegehende Geschichte der vier Helden, ihrer Familien, ihrer Saufkumpane. Terry, der Starficker, der seit einem Job als Mineralwasserlieferant nie wieder ehrlicher Arbeit nachging, aber als fetter Dreißigjähriger noch immer - erfolgreich! - den kleinen Mädchen nachstelzt; Billy, der abgehobene, emotionsarme Boxer, der sich von der Mafia kaufen läßt; Andy, der tragische, hübsche Junge, der dem AIDS-Tod zuvorzukommen versucht; Carl, der ruhige und sich wenig zugehörig fühlende Schöngeist, der als Discjockey internationale Karriere macht.
Auch in seinem sechsten Roman befaßt sich der "Trainspotting"-Autor mit den Randexistenzen der britischen Gesellschaft, den nicht eingehaltenen Versprechungen des "New Deal", der Verbundenheit durch Herkunft, mit falschen Freunden, Haßliebe, dem erdrückenden Ehrencodex der Beinahe-Slums, vor allem aber - natürlich - mit allen Sorten von Drogen, mit Kriminalität, Gewalt und Sex. Aus wechselnden Perspektiven erzählt Welsh in der Diktion seiner Protagonisten (wobei das Wort "Fotze" inflationär und als Bezeichnung für alle und jeden eingesetzt wird, vielhundertfach) vom Schattendasein zwischen Pub, Maloche, Droge und Fick, von Ausbruchsversuchen und Rückkehrern, von der Verletzlichkeit und Maskenhaftigkeit in Männerfreundschaften. Alle vier Helden häufen Schicksalsschläge an, werden betrogen, betrügen selbst, werden beraubt und berauben selbst, wenn sie nicht gerade saufen, vögeln oder "Eckys" einschmeißen.
In einer Sprache, die manch einem Leser die Ohren röten mag, schwatzt Welsh ein bißchen zu viel, fokussiert auf Kernereignisse, die sich als belanglos herausstellen, und wiederholt sich häufig, was zwar authentisch wirkt, aber nicht gerade spannend ist. Die Figuren wirken gelegentlich sehr nahe, sehr plastisch, manchmal aber unter der zwanghaften Entwicklung des Plots beinahe erdrückt, insbesondere Billy und Carl fühlen sich künstlich an, ausgerechnet die beiden Fotzen, denen es leidlich gelingt, dem Teufelskreis zu entfliehen.
Aber insgesamt war ich angenehm überrascht - "Trainspotting" widerlegte noch die gängige Annahme, daß Verfilmungen immer schlechter sind, als ihre Buchvorlagen, wohingegen "Klebstoff" als ganzes betrachtet doch sehr stimmig, atmosphärisch dicht und sprachlich konsistent erscheint. Nichts für sensible Gemüter.