Eine Klasse für sich. Roman.
Curtis Sittenfeld, Aufbau 2006



Das Buch heißt im Original "Prep", und dieser Titel hat zwei Bedeutungen: Einerseits bezieht er sich auf die sogenannten Prep-Schools, private High-Schools, die Kinder besserverdienender Eltern und/oder Hochbegabte auf die Elite-Colleges vorbereiten. Andererseits geht es um die Vorbereitung auf das Leben selbst, das Erwachsensein, denn die Schüler dieser Schulen sind zwischen vierzehn und achtzehn Jahren alt.

Eine von ihnen ist Lee Fiora, ein unscheinbares, aber intelligentes und durchaus hübsches Mädchen aus Indiana, Tochter eines Matratzenverkäufers. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, ein Internat zu besuchen, das berühmte "Ault" in der Nähe von Boston/Massachusetts, und sie bekommt tatsächlich ein Stipendium. Vier Jahre wird sie zwischen Sportgrößen, den Sprößlingen reicher Konzerninhaber und einigen Quoten-Randgrüpplern verbringen.

Was in Amerika Bestandteil des Bildungssystems ist, nämlich die Quasi-Kasernierung der kommenden Elite, erscheint einem Europäer im Zeitalter der Gleichbehandlung um jeden Preis wie ein Anachronismus. Beschauliche Gebäudeensembles stellen den Schauplatz einer Form von Ausbildung und letztlich Selbstfindung dar, die unsereins an Kästners "Das fliegende Klassenzimmer" oder Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" erinnert, aber in den USA der wiederauferstandenen Christen seinen Platz hat, vielleicht mehr als je zuvor. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, hier werden Disziplin, Strebsamkeit und Ideale erlernt, die für eine Karriere an der Wall Street oder die Partnerschaft in einer angesehenen Anwaltskanzlei unabdingbar sind.

Lee gehört von Anfang an nicht wirklich dazu, aber das liegt nicht nur an ihrer Herkunft, sondern an vor allem an der Art und Weise, wie sie ihr Umfeld betrachtet. Während sie an der Highschool in South Bend/Indiana noch zu den besten gehörte und mit ihrer großen Klappe häufig im Vordergrund stand, fühlt sie sich in Ault als Außenseiter und bestenfalls Mittelmaß. In diese Rolle steigert sie sich mehr und mehr hinein; Lee beobachtet und denkt nach, während andere komplexe, manchmal aber auch sehr durchschau- und vorhersehbare Bindungen eingehen. Es ist nicht so sehr das Geld, das sie trennt, sondern ihre permanente Angst, Fehler zu machen und sich der Lächerlichkeit preiszugeben, als Eindringling entlarvt zu werden. Freundschaften findet sie eher zufällig, und sie ist kaum dazu in der Lage, die wenigen Momente des Glücks zu genießen. Auch, als ihr großer Schwarm, der Basketball-Star und potentielle Harvard-Mann Sugarman, endlich Interesse zeigt, verhindert Lees Weltsicht, daß aus der Romanze mehr wird als eine demütigende, heimliche Sexgeschichte.

"Eine Klasse für sich" ist kein Mädchenbuch, sondern ein liebevoll erzählter und sehr genau beobachtender Coming-of-Age-Roman, in dem sich jeder, der zur Schulzeit diese diffuse Hilflosigkeit empfand, wenn andere Cliquen bildeten, ein bißchen wiedererkennen kann. Es ist aber gleichzeitig viel mehr als das. Obwohl die Katastrophen klein scheinen und die strikt chronologische Erzählweise manchmal etwas zu vollständig erscheint, ist es ein schönes und überaus lesbares Manifest gegen eine Welt, in der Äußerlichkeiten und Geld wichtiger sind als Menschen. Einziger Minuspunkt: Der überaus unglücklich gewählte deutsche Titel des Buches.

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