Kinder der Nacht.
Roman.
Dan Simmons, Heyne 2007

Vampirbuch mit wenig Biss

Rumänien, kurz nach dem Zusammenbruch des Sozialismus' - Kate Neumann, eine Hämatologin aus den USA, ist zwischen Schmutz, Korruption und Verfall in den Waisenhäusern des Landes unterwegs und begegnet erschütternden Verhältnissen. Sie findet den kleinen, ausgemergelten Joshua, der in seiner Entwicklung weit zurückgeblieben ist und bald sterben wird, wenn er keine Hilfe bekommt, und zwar eine Form von Hilfe, die ihm im Chaos des ehemaligen Ostblockstaates nicht zuteil werden kann. Kate adoptiert Joshua gegen den erstaunlicherweise nur zaghaften Widerstand der Behörden und bringt ihn in die Staaten, wo sie feststellt, dass sich das Immunsystem des Säuglings auf fantastische Weise regeneriert, sobald er Bluttransfusionen bekommt. Mehr noch, Joshua verfügt über eine Art Schattenorgan im Magenbereich, das offenbar dafür verantwortlich ist, dass das Kind durch fremdes Blut lebt. Die Wissenschaftlerin sieht sich kurz davor, ein Heilmittel gegen AIDS und Krebs zu finden, denn verantwortlich für Joshuas erstaunliche Selbstheilungskräfte scheinen zwei körpereigene, durch einen Gendeffekt entstandene Retroviren zu sein, die jede Art von Eindringling in Windeseile fast spurlos vernichten. Doch dann brechen schwarze Gestalten in Kates Haus ein, töten Ex-Mann und Freundin - und entführen Joshua. Die Spur führt zurück nach Rumänien. Die beherzte Wissenschaftlerin folgt der Spur ...

Ich mag Vampirromane nicht, denn das Genre wirkt eng, seine Grenzen sind dicht abgesteckt; dieses Buch habe ich auch nur gelesen, weil es von Dan Simmons ist, den ich für seine anderen Romane bewundere. Moderne Vampirromane versuchen, der Monokultur mit Humor und ähnlichen Mitteln entgegenzuwirken, meistens leider, ohne wirklich Neues zu bieten, aber Simmons hat einen völlig anderen Ansatz gewählt, nämlich denjenigen der wissenschaftlich nachvollziehbaren Erklärung. Ob sie das wirklich ist, wage ich nicht zu beurteilen, denn ich bin kein Wissenschaftler. Aber die geschilderten Zusammenhänge wirken nachvollziehbar, ernst- und glaubhaft. Verbunden mit sehr gründlicher Recherche auch über die Ursprünge der grassierenden Vampirmythen liefert Simmons dieserart eine Version, die fast auf alle gängigen Klischees verzichtet, zumindest in Bezug auf die Hintergründe. Die vordergründige Story allerdings leidet darunter sehr. Die Mühe, die sich der Autor bei der Recherche und der Entwicklung der Grundidee gegeben hat, lässt er bei der eigentlichen Dramaturgie des Buches vermissen. So gibt es ermüdende und sich wiederholende Verfolgungsjagden, überraschende Wendungen, die eigentlich niemanden wirklich überraschen, romantische Verstrickungen und nicht zuletzt einen hollywoodreifen Showdown.

Der Roman ist in den frühen Neunzigern entstanden und war in Deutschland lange Zeit nicht verfügbar. Erst der große Erfolg von Simmons neueren Büchern hat Heyne dazu bewogen, "Kinder der Nacht" wieder aufzulegen. Der Lesespaß hält sich allerdings in Grenzen. Das Buch fußt zwar auf einer überzeugenden Idee, seine Handlung aber ist das nicht immer. Zuweilen wirkt es ein wenig zäh, überladen mit Schilderungen belangloser Orte, bemüht düster - allerdings ohne je "Horror" zu sein - und eher unspannend. Stilistisch gehört es ganz sicher zu den schwächsten Büchern von Simmons. Aber im Vergleich zu anderen Vampirromanen ist es vermutlich dennoch ein Edelstein. Und gebissen wird in diesem Buch: Niemand.

Das Buch bei Amazon

zurück

Übersicht: Tom Liehr

©Tom Liehr - http://www.tom-liehr.de - Kontakt