Kill Your Friends. Roman.
John Niven, Heyne 2008


Kill your friends


Die britische Musikindustrie der ausgehenden Neunziger befasste sich, glaubt man John Niven, ausschließlich damit, Partys zu feiern, Drogen einzuwerfen und auf Teufel komm raus herumzuhuren. Immerhin war Niven selbst in dieser Branche tätig, was diese Behauptungen in gewisser Weise stützt.

Sein Protagonist Steven Stelfox, Mitte zwanzig, arbeitet im Bereich "Artist & Repertoire" (A&R) eines Londoner Plattenlabels. Stevens Aufgabe besteht darin, neue Acts zu "signen" und im Idealfall Hits aus ihnen zu machen. Stelfox hält das Publikum für Deppen, die Musiker und den Rest der Welt aber eigentlich auch. Er ist ein Misanthrop reinsten Wassers, sogar mehr als das - der gedankliche Hass des Ich-Erzählers richtet sich gegen alles und jeden. Und irgendwie auch gegen sich selbst, wenigstens gegen die eigene Arbeit. So muss er - unter anderem - aus einem Haufen prolliger Mädchen, die weder singen, noch tanzen oder sich fehlerfrei sprachlich ausdrücken können, eine Antwort auf die "Spice Girls" formen. Der Druck, neue, erfolgreiche Bands zu "bauen", ist enorm. Gleichzeitig wächst Stelfox' Finanzbedarf quasi täglich an, weil die vielen Drogen und Prostituierten ganz schön ins Geld gehen. Das aber sind die einzigen Dinge, die ihn wirklich interessieren.

Als sich abzeichnet, dass ein anderer den begehrten Posten in der Company ergattern wird, nimmt dieser Hass auch physische Züge an. Stelfox tötet den Widersacher, beinahe beiläufig, und es bliebe für ihn auch ohne Folgen, wären da nicht ein junger Polizist und die eigene Sekretärin namens Rebecca. Doch der Polizist träumt davon, selbst Rockstar zu werden, und Rebecca wäre gerne Stelfox' Ehefrau. Zwei gute Hebel, um mit dem Problem fertig zu werden. Und zwar ziemlich endgültig.

Das Buch ist in zwölf Abschnitte unterteilt, die die Monatsnamen des Jahres - die Handlung spielt 1997 - als Titel tragen. Am Ende wird sich scheinbar nicht viel verändert haben.

Nivens Roman zeichnet das Bild einer weltfremden, arroganten, partysüchtigen und geldgeilen Branche, die von den Träumen der Kunden lebt, ohne sie auch nur ansatzweise ernstzunehmen. Neue Acts entstehen in der Retorte, jeder Mist wird auf den Markt geworfen, Talent oder Ambitionen spielen keine Rolle. Die Plattenfirmen der ausgehenden Neunziger, die kurz darauf das digitale Zeitalter verschliefen, weil sie ihre eigene Macht überschätzten, werden als korrupte Unternehmen dargestellt, die Musiker verheizen und sich gegenseitig wie Hyänen belauern. Insofern ist "Kill Your Friends" möglicherweise ein Zeitdokument.

Aber mit negativen Protagonisten ist das so eine Sache. Eine Figur, die ungestraft tun und lassen kann, worauf immer sie auch Lust hat, jede denkbare Form von Brutalität eingeschlossen, dient nur sehr eingeschränkt einerseits der Identifikation und andererseits als Symbol. Eine solche Person als Held eines Romans bedarf einer sprachlichen wie dramaturgischen Unterfütterung, die das permanente Unwohlsein des Lesers ausgleicht. Das gelingt in "Kill Your Friends" nicht immer. Im letzten Dritteln schleifen sich die literarischen "Special Effects" zusehends, das leicht Epigonenhafte des Buches drängt in den Vordergrund, Leserermüdung setzt ein.

Nichtsdestotrotz. Eine sehr brachiale, manchmal amüsante, gelegentlich erhellende und meistens unterhaltsame Lektüre. Und ein interessantes Buch über eine Branche, der zu der Zeit, in der der Roman spielt, noch von sich glaubte, über den Dingen zu stehen. Wofür sie den Gegenbeweis mithin ja selbst erbracht hat.

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