Die Karte meiner Träume. Roman.
Reif Larsen, S. Fischer 2009


Die Karte meiner Träume

Überkonstruiert

Dieser Roman hat eigentlich alles, was ein richtig guter Schmöker braucht: Eine ergreifende, tragisch-komische Familiengeschichte, einen originellen Helden, ein unkonventionelles Setting. Darüberhinaus ist das Buch wirklich wunderbar gemacht und sehr aufwendig gestaltet. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen.

Tecumseh Sparrow (kurz: T.S.) Spivet ist zwölf, Sohn eines Ranchers und einer Koleopterologin, einer Käferforscherin, die schon seit Jahren auf der Suche nach der legendären Art ist, die es vielleicht überhaupt nicht gibt. Diese Mutter, die T.S. immer nur "Dr. Clair" nennt, impfte ihren Sohn schon früh mit der eigenen Leidenschaft für die Wissenschaft. Anders als die Mutter aber hat der halbwüchsige Sohn Talent und Erfolg - ohne dass die Familie etwas davon weiß, veröffentlicht er bereits seit einiger Zeit gefeierte Zeichnungen in vielen Wissenschaftsmagazinen. Eine aktuelle Illustration, ausgerechnet die Zeichnung eines Käfers, wurde für eine neue Ausstellung am berühmten Smithonian-Institut als Plakatmotiv ausgewählt. Mehr noch, das Institut will dem Schöpfer der wunderbaren Illustration einen Preis verleihen, ohne dass die Verantwortlichen ahnen, es mit einem zwölfjährigen Jungen zu tun zu haben.

Also macht sich der etwas zwanghafte T.S. heimlich von Montana auf den Weg nach Washington, um den Preis entgegenzunehmen. Er besteigt einen Güterzug und reist als Hobo quer durch die Staaten. Währenddessen beobachtet er seine Umwelt, zeichnet akribisch Karten, Diagramme und Schemata, denkt über seinen verstorbenen Bruder nach, und den Vater, einen etwas halsstarrigen, ruppigen Cowboy. Außerdem begleitet ihn ein Notizbuch der Mutter, das er als Erinnerungsstück mitgenommen hatte, und das sich überraschenderweise als Prosatext entpuppt, nämlich die offenbar halbfikitve Geschichte einer Ahnin, die damals in einer von Männern beherrschten Welt Wissenschaftlerin zu werden versuchte.

Der eigentliche Text wird unterbrochen von Kommentaren und Anmerkungen, die sich jeweils am Buchrand befinden, und die manchmal etwas willkürlich wirken, zuweilen auch durchaus in den Text selbst gepasst hätten, was den Lesefluss nicht selten ausbremst. Außerdem gibt es sehr viele, wirklich schöne und manchmal verblüffende Zeichnungen. T.S. nimmt das Leben und die Welt als Karte wahr, oder versucht wenigstens, das Leben zu kartographieren, weil das seine Art ist, damit zurechtzukommen.

Im letzten Drittel, vor allem aber gegen Ende, wird die Handlung von "Die Karte meiner Träume" immer haarsträubender, manchmal leider sogar ziemlich klischeehaft, bekommt verschwörerische Komponenten. Aus der staunenden Reise des Zwölfjährigen wird eine turbulente Achterbahnfahrt, die in den Katakomben von Washington ihr Ende findet. Hier gelingt es dem Autor dann nicht mehr, die logischen Klippen schadlos zu umschiffen, und es muss auch angemerkt werden, dass schon die Voraussetzungen - ein angesehenes Institut verleiht einem vermeintlichen Wissenschaftler einen hochdotierten Preis, ohne vorher über ihn zu recherchieren - nur mit viel gutem Willen akzeptiert werden können.

Der Roman, der letztlich ein Manifest für mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander und mit der Welt ist, in der wir leben, verliert zwischendrin häufig an Fahrt, und es wird zuweilen spürbar, wie viel konzeptionelle Arbeit in diesem Werk steckt, die seine Emotionalität aushöhlt. "Die Karte meiner Träume" ist überkonstruiert, zu sehr in die Tradition der amerikanischen Erzählliteratur á la Roth, Updike, Franzen & Co. gezwungen, und manchmal leider sehr unglaubwürdig. Daran ändern auch die schönen Illustrationen und pfiffigen Erkenntnisse in den Randnotizen nur wenig. Der Autor hat schon während des Verfassens fast eine Million Dollar Vorschuss für dieses Buch bekommen und sich dann damit abgemüht, das Vertrauen zu rechtfertigen. Daraus ist ein bemerkenswerter, origineller und sehr interessanter Roman entstanden, der im Abgang leider ein wenig steril wirkt und zumindest mich nicht nur begeistert hat.

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