Eine Insel. Roman.
Terry Pratchett, Manhattan 2009


Eine Insel

Der Tsunami und die Theodizee

Nachdem der gewaltige Tsunami im Jahr 2004 mehr als zweihunderttausend Menschen getötet hatte, gab es viele Gottesdienste. Es gab aber außerdem sehr viele Gläubige, die sich (wieder einmal) fragten, wie ein allmächtiger und allgütiger Gott etwas wie diese Katastrophe zulassen konnte. Mit dieser – bis heute unbeantworteten - Frage befassen sich Philosophen und Theologen seit Jahrhunderten; sie ist so berühmt, dass sie einen eigenen Namen bekommen hat: Man bezeichnet dieses Problem als die „Theodizee“.

Der junge Mau muss einen Monat auf einer einsamen Insel verbringen, sich in dieser Zeit selbst ernähren und schließlich ein Kanu bauen, um zu seiner Heimatinsel, der „Nation“, zurückkehren zu können. Das ist der Initiationsritus. Erst danach wird er eine Seele besitzen – und ein Mann sein.

Als er gerade auf dem Heimweg ist, kommt die Welle. Sie vernichtet alles, auch fast den jungen Mau, aber er schafft es doch noch, die Insel zu erreichen. Nur ist von seinem Zuhause nicht mehr viel übrig – vor allem aber kein anderer Mensch mehr. Seine ehemalige „Nation“ besteht nur noch aus ihm selbst und vielen, vielen Leichen. Mau bestattet seine ehemaligen Mitmenschen wie in Trance, und während er das Ritual stundenlang wiederholt, merkt er nicht einmal, dass er doch nicht ganz alleine ist: Die Welle hat außerdem ein Schiff angespült, und einzige Überlebende der Besatzung ist ein junges britisches Mädchen. Die schließlich stattfindende Begegnung ist zunächst von Erschrecken und Erstaunen geprägt, aber schließlich nähern sich die beiden an, bilden eine Zweckgemeinschaft, lernen voneinander. Als nach und nach andere Opfer, schwer verletzt und unterernährt, von den Nachbarinseln auf der „Nation“ eintreffen, übernehmen Mau und das „Geistermädchen“ Daphne die Verantwortung. Mau hört zwar die Stimmen im Kopf, die ihn ermahnen, die „Gottesanker“ wieder aufzustellen, jene weißen Steine am Ufer, die ins Meer gespült worden sind, und all die anderen religiösen Regeln zu beachten, die seine Gemeinschaft zuvor geprägt haben, aber andere Dinge sind wichtiger, nicht zuletzt das Überleben selbst. Und davon abgesehen hat der Junge ja keine Seele.

Der Fantasyautor Terry Pratchett hat mit dieser Parabel seinen Beitrag zur „Theodizee“ vorgelegt. Der Moment der Vernichtung ist eine gute Gelegenheit, um all die Regeln, Mythen und Rituale zu hinterfragen. Mau und Daphne entscheiden sich, pragmatisch vorzugehen, und, siehe da: Es funktioniert. Sogar besser als vorher. Schließlich entdecken sie auch noch das große Geheimnis der Insel, finden heraus, dass die „Gottesanker“ ganz andere Ursprünge haben, als jahrhundertelang vermutet wurde. Die vergleichsweise simple, aber kunstvoll vorgetragene Botschaft lautet: Wenn man sich traut, die Dinge zu hinterfragen, muss man sich nicht mehr den Kopf zerbrechen, um Mythen aufrechtzuerhalten.

Am Ende trägt Pratchett etwas zu dick auf, und es wäre sicher nicht nötig gewesen, Richard Dawkins noch zu erwähnen, um die Intention hervorzuheben. Davon abgesehen aber bietet „Die Insel“ spannende, spektakuläre, lustige, traurige, fesselnde und erhellende Lektüre. Eine schöne Parabel über den Glauben, die Theodizee, Selbstbewusstsein und die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

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