Indien kann warten. Roman.
Magnus Mills, Suhrkamp 2002


Die Entdeckung der Trägheit

Nach dem unerwarteten Erfolg der Zäunlebauer-Saga "Die Herren der Zäune" legt Mills mit diesem handlichen und schnell gelesenen Roman nach, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Viele Stilelemente, sprachliche Eigenheiten gleichen sich, und selbst die Handlung kann als - mehr oder minder konsequente - Fortsetzung verstanden werden.

Unser namenloser Held macht sich per Motorrad auf den Weg nach Indien, aber schon der erste Zwischenstop auf einem Campingplatz in Nordengland wird zur Endstation der Reise. Der umtriebige Besitzer des Platzes, der eigentlich eine Wiese am Gehöft ist, spannt den Reisenden ein, zunächst für einfache Lackierarbeiten, für die ausschließlich grüne Farbe verwendet werden darf, später wird der Protagonist sogar zum Leihobjekt ("Kreissäge mit Arbeitskraft zu vermieten"), angepriesen im örtlichen Kleinanzeigenblatt, das der Hofbesitzer für seine eskapistischen Geschäfte nutzt, da die Landwirtschaft lange schon nichts mehr bringt. Hofbesitzer Walker, der bald zum "Chef" wird, trotzt dem Reisenden immer mehr Handlangerarbeiten ab, gekrönt durch den Auftrag, die sieben verwitterten Ruderboote zu restaurieren, mit denen sich die Camper im Sommer auf dem See vergnügen. Spätestens bis Weihnachten soll alles fertig sein. Danach wird, wie alle im Ort längst vermuten, der Held die Nachfolge des örtlichen Milchausfahrers antreten, der beim Versuch, einen neuen Anker für die Boote zu legen, tödlich verunglückt.

Das Buch lebt, sofern man davon reden kann, von der Zurückhaltung, der Trägheit des Helden, der zwar kräftig zulangt, wenn es um handwerkliche Arbeiten geht (was ihn nicht davor schützt, das eine ums andere Mal in einen Fettnapf zu treten), sich ansonsten aber überaus rezeptiv verhält, kaum seine - nur vage angedeuteten - Interessen vertritt, nie hinterfragt, nicht einmal um seinen Arbeitslohn verhandelt. Dies bewirkt, daß sich der Leser schon früh um das Schicksal des Protagonisten sorgt, obwohl kein mittelbarer Anlaß zur Sorge besteht; das Umfeld hat nichts Bedrohliches, nur die Rätselhaftigkeit, die abgeschlossenen Gemeinschaften immer innewohnt. Zumindest eines ist recht schnell klar: Er wird es nicht mehr schaffen, den beschaulichen Ort mit seinen grünen Hängen, dem skurillen Ladenbesitzer, dem seltsamen Nachbarn mit der Pappkrone auf dem Kopf, den beiden Pubs, der fünfzehnjährigen Gail, für die er die Hausarbeiten erledigt, den energischen Chef Walker zu verlassen. Und so kommt es dann auch.

Leider fehlt "Indien kann warten" die urbritische Lakonie des Vorgängers, das kafkaeske Element, denn die unvermeidliche Konsequenz, die Bindung an den Ort, erwächst nicht aus äußeren Einflüssen, sondern aus der Unfähigkeit des Protagonisten, sich gegen Bitten und Aufforderungen zur Wehr zu setzen - er *könnte* einfach gehen. Er ist ein Trottel, der reinfällt. Ein recht fades Resümee, tatsächlich, das durch sprachliche Finesse, zwingenden Aufbau und originelle Einfälle wie die Auflösung des Pappkronen-grüne-Farbe-Rätsels kaum aufgewogen wird.


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