Im Auge des Winters. Roman.
Dan Simmons, Heyne


Im Auge des Winters

Vierzig Jahre nach den Vorfällen, die in "Sommer der Nacht" geschildert wurden, kehrt Dale Stewart in seine Heimatstadt Elm Haven zurück. Er ist mäßig erfolgreicher Autor historischer "Trapper-Romane", doziert an einer Uni, lebt in Trennung, auch von seiner Geliebten. Eigentlich will er in Schreibklausur gehen, um endlich einen "wichtigen" Roman zu schreiben, einen über jenen Sommer vor vierzig Jahren, als der gute Freund Duane McBride starb und viele andere Dinge passierten, grauenhafte Dinge, an die sich Dale aber verblüffenderweise nicht erinnert - oder nicht in der Version, die man in "Sommer der Nacht" gelesen hat. Er zieht in das leerstehende, einsam gelegene Farmhaus der McBrides ein, in dem sich wenig verändert hat. Elm Haven allerdings scheint zu verfallen. Wie Dale auch, der gerade einen Selbstmordversuch überlebt hat.

Die Eremitage in der Kindheitsprovinz entwickelt sich alsbald zu einer Verkettung grauenhafter und erschreckender Erlebnisse. So erscheinen wie von Geisterhand seltsame, kryptische Dialoge auf Dales Laptop. Oder Hunde treiben sich auf der Farm herum, schwarze Hunde, die von Tag zu Tag größer zu werden scheinen. Jugendliche Neonazis machen Jagd auf den Autor. Und zu allem Überfluss ist ausgerechnet C. J. Congden Sheriff, jener Typ, der Dale fast erschossen hätte, damals, vor vierzig Jahren.

Die Lähmung des Autors, der zudem den Geist seines verstorbenen Klassenkameraden im Kopf mit sich herumzutragen scheint, ohne davon zu wissen, wächst von Tag zu Tag parallel mit den Hunden. Eine Jugendfreundin, die eigentlich weit weg oder sogar tot sein sollte, taucht auf, und auch jener Soldat aus dem Ersten Weltkrieg, den die Jungs damals beobachtet haben, tritt wieder auf den Plan. Aber bei all dem weiß weder der Leser, noch die Hauptfigur, ob es sich um Wahnerlebnisse oder die Realität oder irgendwas dazwischen handelt. Führt Dale Computer-Selbstgespräche, ohne es zu wissen? War die tote Michelle tatsächlich zum Weihnachtsessen da? Was haben ägyptische Gottheiten und die Beowulf-Sage mit all dem zu tun?

Diese Fragen könnte ich nicht mit Sicherheit beantworten, denn das - im Vergleich zum Rest des Buches, das eher gemächlich daherkommt - rasante Ende hat nicht alle Fragen beantwortet, die ich mir gestellt habe. Es hat auch nicht zum besseren Verstehen des Vorgängers beigetragen.

Ein schwaches, bemühtes Sequel, das zwar atmosphärisch dicht und durchaus spannend geschrieben ist, sich aber insgesamt wie eine Schreibübung anfühlt - natürlich eine auf Simmons-Niveau. Sicher ein Must für Fans, aber eben wirklich nur Fanlektüre. Ohne "Sommer der Nacht" nicht zu verstehen, aber auch damit eigentlich nicht. Was aber auch an mir liegen kann.

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