Hoffmans Hunger.
Roman.
Leon de Winter, Diogenes 1995


1989, das Jahr, in dem Europa eine Revolution erlebte, deren Folgen noch heute unabsehbar sind. Felix Hoffman, 59, steht am Ende seiner Diplomatenkarriere, als er zum Botschafter der Niederlande in der Tschechoslowakei ernannt wird. Mit seiner entfremdeten Frau Marian und den Erinnerungen an die beiden verstorbenen Töchter bezieht er die Kanzlei in Prag. Hoffmans jüdische Eltern sind vergast worden, er selbst hat den Krieg bei einem Bauern im Versteck überlebt. Hoffman überlebt alles, umso mehr bemüht er sich, an seiner Selbstvernichtung zu arbeiten. Seit dem Tod der ersten Tochter leidet er unter Schlaflosigkeit, schaufelt sich Nacht für Nacht Unmengen Futter hinein, um es anschließend wieder zu erbrechen, sein Hunger ist unstillbar, nicht nur der physische. Auf dem Dachboden der Botschaft entdeckt er ein Buch von Spinoza; seine nächtlichen Freßorgien werden fortan von der philosophischen Suche nach der seligmachenden Erkenntnis begleitet, dem Glück jenseits alles Materiellen. Parallel beobachtet ein - gleichfalls freßsüchtiger - amerikanischer Tourist die Entführung eines Agenten. Die CIA wird tätig und setzt eine tschechische Doppelagentin auf Hoffman an, der der jungen Frau verfällt. Für einen kurzen Augenblick ahnt Hoffman etwas von dem Glück, das möglich wäre, aber bevor er es zu fassen bekommt, nehmen die Dinge ihren Lauf.

De Winters Brillanz zeigt sich - wie auch in den folgenden Büchern - in der präzisen und ergreifenden Erzählung vom zerstörten Seelenleben seiner Protagonisten, an denen Verluste zehren, deren Lebensträume gescheitert sind. Natürlich wird außerdem die jüngere Vergangenheit thematisiert, wie auch ihre - nach de Winters Lesart unzureichende - Bedeutung in der Gegenwart. Dabei scheint die Gewichtung zu viel Fokus auf die Befindlichkeiten der Protagonisten zu legen, aber dieser Eindruck verwischt, gibt man sich der metaphorischen Flut des Romans hin. Ein Buch, das nicht umsonst ein großer Erfolg war und auch verfilmt wurde.

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