Hitze.
Roman.
Ralf Rothmann, Suhrkamp 2003




Simon DeLoo ist ein ehemaliger Kameramann, wahrscheinlich Mitte dreißig, den es - woher auch immer - ins Neuköllner Kiez verschlagen hat, wo er in einem etwas baufälligen Mietshaus wohnt, zwischen den Klamotten der Ehemaligen. Im Erdgeschoß pinselt die über achtzig Jahre alte Hausbesitzerin an ihrer Karriere als Künstlerin. DeLoo nimmt einen Job in einer Großküche an, zwischen all den prolligen, liebenswerten Randexistenzen, die zwischen sechs und sechs tonnenweise Schnitzel brutzeln, eimerweise Bohnensuppe köcheln. Auf einer seiner Auslieferungstouren lernt er Lucilla kennen, die Stadtstreicherin aus Polen.

Rothmann versucht sich über drei Fünftel des Buches als akribisch beobachtender Großstadtautor, vermittelt in kaskadierenden Nebensätzen Eindrücke vom Morgen im Kiez, vom Winter in Neukölln, vom Schattendasein im Hilfsjob. Leider übertreibt er das ziemlich, so daß Figuren und teilweise nur schwer nachvollziehbare Handlung fast auf der Strecke bleiben. Und dann ist plötzlich alles anders; der vorher schweigsame Held blüht auf, kann reden, zeigt Gefühle: Er ist mit Lucilla in Polen, mitten im Sommer - mit Lucilla, die der Ehemaligen *so* ähnelt, wie DeLoo glaubt. Doch die Euphorie hält nicht lange, und dem kurzen Aufleben folgt der totale, endgültige Absturz.

Das Buch hinterläßt ein fades Gefühl, weil es über weite Strecken belehrend daherkommt, passiv, gleichzeitig sehr bemüht, da grassieren die Metaphern. Weil der Held nur schwer zu verstehen ist. Weil so vieles geschieht, das völlig bedeutungslos ist. Weil es im letzten Drittel einbricht - übrigens auf positive Weise, zumindest sprachlich.
Weil es, insbesondere, große Fragezeichen zurückläßt - hinter einem guten Dutzend Fragen, die es nicht beantwortet. Vor allem aber, weil man sich als Leser wie das Versuchskaninchen inmitten eines Sprachexperiments fühlt.

Leider, wie so oft bei deutschen Autoren: Zu viel Kopf, zu wenig Gefühl.

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