Heartland. Roman.
Joey Goebel, Diogenes

Heartland

American Idiots

Wie schreibt man eine Satire auf amerikanische Rednecks, den "White Trash", heuchlerischen Wahlkampf, überzogenen Patriotismus, das alles regierende Geld und die allgegenwärtige, verbohrte, verlogene Gottesfürchtigkeit, gar auf den Glauben der Amis, in "God's own country" zu leben? Nun, man tut es überhaupt nicht, denn der "American Way of Life" bedarf keiner Parodie. Er ist längst zu einer geworden.

In einer Gegend, die Goebel "Commonwealth County" genannt hat, genauer im Städtchen Bashford, beherrscht die Familie Mapother wenigstens die Wirtschaft - und damit letztlich alles andere auch. Ihr gehört einer der größten amerikanischen Tabakkonzerne ("Westway"), aber die - natürlich männlichen - Familienoberhäupter haben vorgesorgt und das Unternehmen zukunftssicher aufgestellt. Beliebt ist der größte Arbeitgeber der Region allerdings nicht; das einfache Volk hält die Familie für ausbeuterisch, korrupt und snobistisch, was auch kein Vorurteil ist, sondern schlicht der Wahrheit entspricht. Als der ältere Sohn John für den Kongresswahlkampf aufgestellt wird, um die Pläne der Eltern und einen etwas wirren religiösen Traum der Mutter zu erfüllen, nimmt man deshalb zähneknirschend wieder Kontakt mit dem abtrünnigen Sohn Eugene - genannt Blue Gene - auf. Blue Gene lebt in einem Trailerpark, trägt Flip-Flops, T-Shirts mit abgetrennten Ärmeln, liebt Wrestling und betreibt einen Flohmarktstand. Der langhaarige White-Trash-Archetyp verfügt - im Gegensatz zu seinem soziophoben großen Bruder - über die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und sie für sich einzunehmen, und er ist beim einfachen Volk - quasi bei seinesgleichen - beliebt. Die Rechnung lautet: Wenn sich Blue Gene öffentlich für John einsetzt, wird dieser den Gegenkandidaten (von dem er sich inhaltlich kaum unterscheidet) schlagen können. Nach einigem Hin und Her sagt Blue Gene zu, und anfangs sieht es gut aus für das ungewöhnliche Gespann. Doch obwohl er langsam redet und seltsamen Freizeitaktivitäten nachgeht, ist Blue Gene kein Idiot. Und als die Punksängerin Jackie auf den Plan tritt, wird aus dem Trailerpark-Patrioten plötzlich ein sanfter Revoluzzer. Außerdem gibt es da noch ein düsteres Geheimnis in der jüngeren Familiengeschichte ...

Aus einem prinzipiell nicht dummen Plot und einer hinreichend nachvollziehbaren, auf etwas klischeehafte Art glaubwürdigen (zudem halbwegs authentischen) Figurenzeichnung hat Goebel leider einen viel zu langen Roman gestrickt, der irgendwann ab der Mitte und dann stetig zunehmend ermüdet. Weil das Buch prinzpiell humorfrei ist, der Autor sich also Mühe gibt, sein Personal nicht direkt zu karikieren, quält er Leser und Figuren mit einem sehr, sehr gemächlichen und wenig ergiebigen Lernprozess. Während eigentlich schon spätestens ab Seite 100 klar ist, wie die Mapothers ticken, muss Blue Gene noch weitere 600 Seiten absolvieren, auf denen sich Aussagen und Geschehnisse ständig wiederholen wie in einem Grundschülerlehrbuch. Die in der Art eines stundenlang gekauten Chewing Gums zähe Handlung bewegt sich nur, wenn es Impulse von außen gibt, etwa die zufällige, aber dramatische Wiederbegegnung zwischen Blue Gene und seinem Kindermädchen Bernice, oder den - leider verpuffenden - Aussetzer des Mapother-Kongresskandidaten John vor laufender CNN-Kamera, als dieser während einer Panikattacke anmerkt, die honorigen amerikanischen Soldaten wären eigentlich zu dumm, um ihnen Verantwortung im Alltagsleben übertragen zu können. Ansonsten mäandert das Buch vor sich hin, und Goebel lässt seine Figuren noch einmal und noch einmal erklären, was jeder Depp - vermutlich auch jeder amerikanische - längst verstanden hat.

Nachgerade ärgerlich jedoch ist das Ende. Natürlich steht über all dem die Prämisse "Es ändert sich sowieso nichts", weil das Land nun einmal so ist, wie es ist, und eher würde die Hölle zufrieren, bevor sich etwas bewegt, aber dieser unspannende und viel zu lange Roman sagt auch wirklich nichts Anderes. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, keine erhellenden Innenansichten, sondern lediglich die mühselige Bestätigung sattsam bekannter Vorurteile, die keine sind. Will sagen: Wer in diesen Spiegel der amerikanischen Gesellschaft hineinschaut, schaut auch exakt so wieder hinaus. Was umso quälender ist, da das Buch bis auf wenige Ausnahmen - zu denen auch der Antiheld Blue Gene eher nicht gehört - mit jenen Leuten bevölkert ist, die über lediglich drei Eigenschaften verfügen: Erfolgreich. Patriotisch. Und dumm. Leidlich verblüffend immerhin, dass diese ignoranten Pappnasen über Wohl und Wehe der amerikanischen Gesellschaft bestimmen.

Hätte Joey Goebel doch eine Satire geschrieben - oder das ganze in eine Short Story gepresst. Diese stilistisch und dramaturgisch sehr mittelmäßige, unendlich langweilige Familiensaga ist möglicherweise realistisch geraten, aber das entschuldigt nichts. Unterm Strich bleibt eine ziemlich fade Milieustudie, eine langatmige Bestandsaufnahme, die nicht einmal erzählerisch zu überzeugen weiß. Und dass man jede amerikanische Versammlung retten kann, indem man beginnt, "USA!, USA!, USA!" zu skandieren, hat Homer Simpson lange vor Blue Gene Mapother bewiesen.

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