Das Glasperlenspiel.
Roman
Hermann Hesse, Suhrkamp 1996 (TB)

Hesse zeichnet das Zukunftsbild einer Gesellschaft, deren Geistesschaffen sich auf Reflexion reduziert hat. Oberste Instanz dieser reflexiven Kulturbetrachtung ist das sogenannte Glasperlenspiel, eine philosophisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung und interdisziplinäre Verknüpfung (mit) der Kunst, Musik, Wissenschaft, Sprache. Josef Knecht, Protagonist des biografischen Romans, bewegt sich auf der Karriereleiter der Wissenschaftlerenklave "Kastilien" bis zum weithin angesehenen "Magister Ludi", dem Meister und obersten Richter des Spiels - das über den Roman hinweg nur abstrakt angedeutet wird, dessen komplexes und feingeistiges Regelwerk nie erklärt wird. Die Provinz Kastilien ist gleichzeitig Sitz der obersten Erziehungsbehörde, und Focus einer überaus elitären, vergeistigten Pädagogik. Knecht jedoch ist weniger Baustein und willfähriger Bestandteil der omnipräsenten Hierarchie, als zunächst angenommen wird - er durchbricht schließlich die Struktur, verläßt sein hohes Amt und zieht sich in die weltliche Gesellschaft zurück, die weitgehend unbeachtet von der elitären Erziehungsprovinz koexistiert. Sein Versuch, lebendige Geschichte zum Bestandteil der wissenschaftlichen Betrachtungen und eben des Glasperlenspiels zu machen, scheitert.

In einer fast unterwürfigen, hierarchieorientierten Diktion berichtet ein kastiliengläubiger Erzähler vom Leben und der Legende Knechts, von den Wegscheiden und den "Erwachensphasen", von einer Gesellschaft, deren Kulturgeschehen stagnativ und zwanghaft fundamentierend ist, und kritisiert diese Gesellschaft gleichzeitig recht subtil anhand eben jener Biografie. Die - scheinbar am Rande - aufgeworfenen Fragen nach der Bedeutung kultureller und wissenschaftlicher Entwicklung über einen (willkürlichen) Punkt hinaus sind dabei vor dem Hintergrund des Ausgangspunktes des Romans zu sehen, den Hesse in den 30er bis 40er Jahren schrieb, als die Vergesellschaftung der Kultur und der Kulturschaffenden einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, das "feuilletonistische Zeitalter", wie es Hesse nennt.

"Das Glasperlenspiel" hat keinen sehr leichten Zugang, verfügt aber über eine einzigartige Diktion und Leserführung, ist beschaulich, fast anheimelnd, und gleichzeitig zwingend, nachdenklich und faszinierend.

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