Glamorama. Roman
Bret Easton Ellis, Diana/Heyne 2001

 

Die Rückseite wird geschmückt mit Zitaten aus Kritiken. Dort ist von einer "genialen Satire" die Rede, etwas verwirrend wird eine Empfehlung für diejenigen ausgesprochen, die "Elle", "Vogue" oder ähnliche Zeitschriften konsumieren (jener Kritiker hat maximal 100 Seiten gelesen). Kernsatz ist aber einer, in dem es u.a. heißt: "...bei aller gedanklichen Einfachheit ...".

Und alleine dieser Satz stimmt.

Victor Johnson, Künstlername Victor Ward, ist Model, überaus attraktiv, und ein Promi - more or less. Er hat die Spitze noch nicht erreicht, aber sein Name zählt, vor allem wohl, weil er ein Verhältnis mit Topmodel Chloe Byrne pflegt, die ihrerseits sämtliche Titelseiten schmückt. Victor hastet von Show zu Show, während er gemeinsam mit einem leicht windigen Geschäftspartner, dessen Freundin er gelegentlich vögelt, die Eröffnung eines neuen Clubs in New York vorbereitet. Wir sind irgendwo in der Mitte der Neunziger, und wie in "American Psycho" wird der erste Teil des Romans von Aufzählungen getragen: Kleidung und Accessoires, Namen von Promis, Drogen.
Seitenlang wird die Gästeliste der Cluberöffnung abgehakt. Die Eröffnung selbst allerdings wird für Victor zum Desaster. Irgendwo in den Zweihundertern, seitenzahlmäßig. An dieser Stelle hat der geneigte Leser noch über 600 vor sich.

Victor verfügt über eine schmale, relativ sauber definierte Ethik: Alleine der Schein zählt. Die Anzahl der Papparazzi-Fotos. Die Titelblätter, die man im laufenden Monat schmückt. Mit wem man gesehen wurde. Wen man vögelt. Was man dem VJ von MTV erzählt hat. Die Welt ist ganz Öffentlichkeit, und die Wertigkeit formuliert sich über die Anzahl der Blitzlichter, die auf einen gerichtete Kameras abfeuern. Außerhalb dieser Welt zählt nichts; nichts existiert außerhalb dieser Welt. Wards Leben ist Nihilismus pur, Ziele und Vorstellungen sind nicht erkennbar. Hier knüpft "Glamorama" praktisch nahtlos an "American Psycho" an, liest sich im ersten Teil wie eine Fortsetzung, und man ist geneigt, auf die erste bestialische Zerstückelung eines Penners, eines Groupies, von *irgendwem* zu warten. Aber die leicht ermüdende, wenn auch etwas atemlose Seichtigkeit - "gedankliche Einfachheit" - des Romans nimmt eine andere Wendung.

Und genau das ist das Problem. Ward gerät - schwer nachvollziehbar - in eine etwas apathische, drogenreiche Lähmung, vermischt mit massiver Panik, trifft auf einen windigen Menschen, der ihm 300.000 Dollar anbietet, wenn er nach London fährt, um eine vermeintlich noch immer in ihn verliebte (aber von ihm längst vergessene) Collegefreundin aufzufinden und nach Amerika zurückzubringen. Victor ist völlig neben sich, findet sich auf der QE2 wieder, hat seltsame Begegnungen, um in London schließlich in ein Chaos zu geraten, das dem geneigten Leser kaum mehr transparent wurde. Eine Art Supermodel-Wohngemeinschaft entpuppt sich als terroristische Kernzelle, Morde, Attentate, Parties bestimmen fortan das Dasein Wards, der herumtaumelt, schwächliche Versuche unternimmt, die Situation zu analysieren, halbwegs zu verstehen, ihr zu entfliehen. Und alles wird gefilmt, pausenlos sind Filmteams anwesend, alles läuft nach Skript; ob dies Analogien sind, Träume, Fehlwahrnehmungen - der Leser ist überfragt. Irgendwie spielen auch noch Doppelgänger ihre Rollen, niemand ist, wer er zu sein scheint, der Leser glaubt, hier einen Hinweis auf das satirische Element vorzufinden, schließlich spielt "Glamorama" in der Welt des Scheins. Jetzt erst übrigens schlägt Ellis in gewohnter Härte zu: Sex-, Folter- und Attentatsszenen sind akribisch, fast *liebevoll* geschildert. Der Unterschied zu "American Psycho" besteht allerdings darin, daß die voyeurisitsche Komponente einzig ausschlaggebend zu sein scheint, und daß die Schilderungen darüberhinaus keine qualitative Bedeutung für den Fortgang des Romans haben. Ellis versucht einfach, was er am besten zu können scheint. Schein. Gedankliche Einfachheit.

Der geneigte Leser quält sich Seite 827 des übrigens sehr nachlässig gesetzten Buches entgegen, in der Hoffnung, irgendwo, irgendwann die Pointe zu finden, die umfassende Erklärung für all diesen Scheiß, den kruden Mittelteil, die verwirrende, aber flache Besetzung der Protagonistenrollen, die Attentate, die Filmerei, all das. Aber es bleibt aus. Das Gefühl, eine Menge Zeit verschenkt zu haben, nimmt überhand.

Dennoch ist "Glamorama" ein wichtiges Buch, für mich ganz persönlich: Mir hat nämlich noch eine 800-Seiten-Schwarte gefehlt, auf der rechten Seite des untersten Bücherregals. Aus Gründen der Statik.


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