Blue Girl. Roman.
G. Zoe Garnett, atv 2002

 

Die vierzehnjährige Roeanne geht locker als sechzehn durch, auch, weil ihre Proportionen bereits recht ausgeprägt sind, vor allem aber, weil die alleinerziehende Mama Del eine eher partnerschaftliche Beziehung pflegt. Del ist Künstlerin, doziert Malerei, entwirft Plattencover, kennt Gott und die Welt, bleibt selten länger an einem Ort. Roeanne zeichnet Cartoons, beobachtet die Mutter und ihre "netten Typen", bemerkt nach und nach die feinen Unterschiede zwischen ernsthafter Annäherung und nackter Anmache. Als der gutaussehende Marcus aufgrund einer Wette Mama und Tochter vernascht, macht sich Roeanne vom Acker.
Anfang der Achtziger. Von AIDS ist noch keine Rede, Verhütung bedeutet, in Mexiko abtreiben zu lassen, die Nachwehen der freien Liebe, Alkoholismus und maßlose Selbstinszenierung der Künstler und Rockgrößen prägen das soziokulturelle Miteinander. Die Heldin, das "Blue Girl", begegnet Didi, dem zwergenwüchsigen schwulen Cartoonkünstler, seinem riesenhaften Bruder Pascal, landet schließlich in der "Colony", fängt eine explosive Liebelei mit dem 42jährigen Pascal an, reist zu Rockkonzerten, freundet sich mit Gilbey an, der feenhaften sechzehnjährigen Alkoholikerin, die von ihren steinreichen Eltern von der Schule genommen wurde, weil es nutzlos ist, zu lernen, wenn man sowieso ausgesorgt hat. Roeanne fühlt sich wohl, weit wohler, als im heimatlichen Vancouver, wo Del hockt und keine Ahnung hat, was der Sprößling so treibt.

"Blue Girl" liest sich streckenweise - absichtlich - wie das Tagebuch eines pubertierenden Mädchens, dessen Blick für die Welt gleichzeitig ungewöhnlich geschärft ist, das aber die immanente Naivität längst noch nicht abgeschüttelt hat. Die Begegnungen sind von einem, gelegentlich ziemlich aufgesetzten, Staunen begleitet, und durchsetzt von Erwartungen, die leider nicht sehr kunstvoll zwischen entwicklungspsychologischer Betrachtung und Gutmenschenglauben tändeln. Heraus kommt eine Verhackstückelei, die sich zeitweise ganz herzig anfühlt, aber konstruiert wirkt, weil die inzwischen deutlich ältere Autorin - wahrscheinlich im Nachgang - das staunende Entdecken etwas zu dick mit der überzogenen Zeichnung ihrer Protagonistin verwoben hat.

Bleibt die Frage, wem man diesen Roman empfehlen kann, für wen er interessant sein könnte, aber die Frage bleibt leider ohne Antwort.


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