Geklont.
Roman SF
Michael Marshall Smith, Rowohlt 1999

 

Der Originaltitel des Romans lautet "Spares" ("Ersatzteile"). Wie so oft, hat auch hier der deutsche Verlag einen inhaltlich und semantisch leicht mißverständlichen Titel gewählt, vermutlich, um den Kaufanreiz zu erhöhen. Jedenfalls handelt "Geklont" weniger davon, *daß* jemand geklont wurde oder wird, sondern daß geklont wurde oder wird, um auf diese Art Ersatzteile bereitzustellen. In der zukünftigen Welt, die der Science-Fiction-Roman skizziert, lassen Superreiche von ihren Kindern Klone erzeugen, die in stollenähnlichen Berganlagen "gehalten" werden, um als Ersatzteillager für ihre Originale zu dienen. Ohne Sozialisation, Außenkontakte, sprachunfähig, dahinvegetierend, gelegentlich von den Aufsehern vergewaltigt, bis das OP-Team kommt, um ein Bein zu amputieren, Hautfetzen zu entnehmen, Augen, Organe, diese Dinge. Es scheint, als würde der Titel ja doch passen, aber das stimmt nicht - "Ersatzteile" ist erstens im Hinblick auf Ausgang und Verlauf der Geschichte deutlich mehrdeutiger, und außerdem steht der Prozeß des Klonens selbst genaugenommen völlig außerhalb der Handlung.

Der Protagonist Jack Randall war Spezialsoldat, dann Polizist in "New Richmond". New Richmond ist an der Stelle entstanden, an der sich bis zu einer Art Aufstand das alte Richmond befand, das von seinen Einwohnern zerstört wurde. New Richmond besteht aus einem über zweihundertstöckigen "MegaLiner", notgelandet auf dem Gebiet der ehemaligen Stadt. Aufgrund eines Triebwerkschadens konnte das gigantische Amüsierfluggerät nicht mehr starten - kurzerhand fanden sich die vielen tausend Fluggäste mit der Situation ab, ehemalige Richmonder bauten Häuser an die Außenwände, eine komplexe Sozialstruktur etablierte sich, Etage 100 wurde zur Trennlinie zwischen arm und reich. Ein Industrieller namens Arnold Maxen, eine fast virtuelle Figur, zog die Macht in dem Komplex aus Einkaufsmeilen, Hotels, Wohnappartments und xPress-Aufzügen an sich, das organisierte Verbrechen übernahm die Tagesarbeit. Die Polizei war in erster Linie damit beschäftigt, die Korruption zu organisieren; Drogen und Gewalt natürlich allgegenwärtig.

Es ist ein bißchen schwierig, mehr zu erzählen, ohne zu viel über den Inhalt zu verraten. Randall ist ein Underdog, gewitzt und intelligent, aber drogenabhängig, kaputt bis ins Mark, zerstört durch die Mächte in New Richmond. Er flieht, ist fünf Jahre lang Aufseher in einer der Ersatzteilfarmen, nimmt sich einiger "Reserven" (die offzielle Bezeichnung der ersatztteilliefernden Klone) an und kehrt mit ihnen nach New Richmond zurück, um alte Kontakte zu nutzen und *eigentlich* mit den Reserven zu fliehen. Doch es kommt anders, zu viele Leute erinnern sich an Randall, und eine Hetzjagd und ein absurdes Rätselspiel beginnen.

"Geklont" ist keine einfache Kost, kein Mainstream-SF, sondern eine recht subtile, teilweise stark verschlüsselte Geschichte, die sich um die Entwicklung und Lebenseinstellung des Protagonisten rankt, um Kontrolle, Medien, Manipulation, Ethik, Recht und Gesetz, um das Machbare und das Notwendige. Es ist ein gutes Fallbeispiel dafür, wie komplexe fiktive Strukturen gut und glaubhaft funktionieren können, ohne daß zu stark auf die Kacke gehauen werden muß; Zukunft und Gegenwart - aus Sicht des Lesers - sind auf eine Art verwoben, die dazu führt, daß sich das Erzählte eindringlich erschließt, und sogar den spröden, zunächst recht unzugänglichen Helden transparent und nahe wirken läßt.

Das Ende des Buches ist ein Kunststück, eine Verknüpfung aller Enden, die bis dahin so lose lagen, daß mir mit abnehmender Seitenzahl mehr und mehr Zweifel kamen, ob ein Ende überhaupt machbar sei. Aber es ist gelungen, und es hat sich gelohnt. Feine, hochklassige SF, sprachlich und stilistisch von ganz besonderer Art, wie erwähnt: weit jenseits des Mainstreams.


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