Gargoyle. Roman.
Andrew Davidson, Bloomsberry Berlin
2009

Gargoyle

Paulo Coelho trifft Ken Follett

Es beginnt verheißungsvoll: Da ist ein junger, exzellent aussehender Mann, hedonistisch, ein bisschen misanthropisch, der einen schweren Unfall baut, unter Drogen, sogar - etwas klischeehaft - mit einer Flasche Whiskey in der Hand. Das Auto fängt Feuer, und mit ihm verbrennt jener Mann - fast. Extrem schwer verletzt wird er in eine Spezialklinik für Verbrennungsopfer eingeliefert, wo der ehemalige Pornodarsteller und Lebemann unermüdlich Operationen unterzogen wird, die Davidson haarklein schildert. Der Schmerz, den seine Hauptfigur durchleben muss, wird fast greifbar. Minutiös schildert der Autor die Eingriffe, erläutert die medizinischen Hintergründe, dringt in das Seelenleben seiner geschundenen Hauptfigur ein, die alles verloren hat, was ihr je wichtig war, vor allem das gute Aussehen. Und, nebenbei bemerkt, den Penis, der "wie ein Docht" ebenfalls verbrannt ist und nicht gerettet werden konnte. Folgerichtig nimmt der Protagonist die martialischen Behandlungen auch nur hin, weil er auf den Moment der Entlassung wartet, wonach er sich stantepede umbringen will. Seine Gedanken kreisen um nichts Anderes. Schließlich hat er den Sinn seines Lebens verloren.

Doch dann tritt Marianne Engel auf den Plan, eine merkwürdige, auf ihre Art sehr attraktive Frau, die in der selben Klinik zuvor Psychiatriepatientin war. Die Frau verbringt viel Zeit am Bett des verunstalteten, wie ein "Monster" aussehenden Verbrennungsopfers und erzählt ihm aus einer siebenhundert Jahre zurückliegenden Vergangenheit, in der die beiden angeblich ein Liebespaar waren. Marianne war damals eine Nonne, Schriftgelehrte in einem Kloster, das für seine Übersetzungen berühmt wurde, und lernte den vermeintlich reinkarnierten Pornostar kennen, weil der - wiederum als Verbrennungsopfer - ins Kloster gebracht wurde. In ihrer Fassung der Geschichte war der Patient damals Söldner. Nach seiner Heilung flohen die beiden, wurden ein Paar, doch die Söldnertruppe blieb auf der Spur des Deserteurs.

Der entstellte Jetztzeit-Mann gewinnt durch Marianne Engel wieder so viel Lebensmut, dass er nach dem Klinikaufenthalt zu ihr zieht und die Selbstmordgedanken vergisst. Die Frau ist Bildhauerin und fertigt in einem kräftezehrenden Prozess Gargoyles, also jene Mischwesen, die früher als Wasserspeier zum Beispiel auf Sakralbauten gesetzt wurden. Ihre Figuren sind beim Publikum so beliebt, dass Marianne Engel ein mehr als gutes Auskommen hat, aber der Entstehungsweg führt die Künstlerin jedes Mal an den Rand der Selbstzerstörung. Zwischen den erzählten Episoden aus der vermeintlichen Vergangenheit des Paares fällt sie immer wieder in eine Art Trance, die erst beendet wird, wenn sie einer neuen Gargoyle-Figur eines ihrer gut zwei Dutzend Herzen gespendet hat, über die sie verblüffenderweise und irgendwie metaphorisch verfügt. Metaphern - leicht erkennbare wie auch ein wenig verrätselte - spielen in "Gargoyle" ohnehin eine große Rolle.

So verheißungsvoll, wie der Roman beginnt, so quälend, ermüdend und nervtötend wird er später. Der lässige Anfang, der so präzise und eindringlich erzählt ist, war, wie sich später herausstellt, nur das vom Autor in Kauf genommene Übel, um seine pathetische Botschaft vermitteln zu können, und die lautet, vereinfacht gesagt: Atheismus ist Pornographie. Der Held wird am Ende zwar nicht vordergründig geläutert, aber durch Traumsequenzen und Zitate aus Dantes "Hölle" doch recht deutlich auf den "richtigen" Weg geführt, den Weg der Liebe, der Transzendenz, des selbstlosen Seins. Jene paar Zweifel, dem nach dem tragisch-klebrigen Ende bleiben, können als Zugeständnis an nicht ganz so esoterische Leser verbucht werden.

Da hat ein fraglos sehr fähiger Autor viel Erzähltalent in eine Mogelpackung investiert, die sich liest, als hätten Paulo Coelho und Ken Follett zusammen einen draufgemacht. Was ein cooles und spannendes Buch hätte werden können, entwickelt sich etwa ab der Mitte zu einem Kirchengesangsbuch für die Iny-Lorentz-Generation. Gut und Böse sind so konturiert gezeichnet, dass es einer Karikatur gleichkommt. Mag sein, dass viel Recherchearbeit in den Klinikszenen und den Rückblenden aus der Vergangenheit steckt, aber die abgeschmackte und vordergründige Botschaft reißt dem Roman am Ende schlicht die Beine weg. Immerhin ist es besser geschrieben als die Traktate des Eso-Hippies Coelho, aber ein besseres Buch ist es deshalb noch lange nicht. Ganz im Gegenteil.

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