Wer ist John Galt? Roman.
Ayn Rand, Gewis Verlag 1997, TB



Sozialhilfeempfänger sind Diebe, Gewerkschaften Räuberverbände, Steuern sind Plünderung, Gemeinwohl ist eine Floskel. Was zählt, sind Eigenleistung, Egoismus, Verstand und Brillanz, alles andere ist die wertlose Bereicherung am Eigentum anderer, geistig und materiell. Verkürzt, aber nicht einmal - im Vergleich zum Buch - provokativ formuliert.

Die nahe Zukunft, aus Sicht des Entstehungszeitpunkts des Buches. Eine Clique von Mediokren hat den Marsch durch die Instanzen hinter sich gebracht und installiert eine obskure Form von Sozialismus, verstaatlicht und enteignet, führt einen Feldzug für (!) Willenlosigkeit, Gemeinsinn, Gleichmacherei, Nivellierung und Flachheit, gegen Leistung, Initiative und Schaffenskraft, in jeder Hinsicht. Die Clique hat es leicht, denn sie bedient sich der Mittel, derer ihre Gegner aufgrund des weitaus höheren moralischen Imperativs unfähig sind: Intrige, Lug und Trug, "öffentliche Meinung" und Wahrheitsverfälschung, Machtspiel und Erpressung.
Diese Gegner sind hehre Geschöpfe, faszinierende Vertreter des homo initiativens, Geschäftsleute von enormer Leistungs- und Denkfähigkeit, Arbeiter im moralischsten Sinne des Wortes, Verfechter des Eigentums, des Selbstzweckes, des Wertes und des Marktes. Diese Menschen, sie heißen Taggart, Wyatt, Rearden, d'Anconia, Danneskjöld, Danagger, sind die zwei Hände voll Unternehmer im amerikanischstmöglichen Sinne, Tellerwäschermillionäre, die das Land zu dem gemacht haben, was es ist, die hundertfünfzig Stunden am Tag arbeiten, alle wichtigen Erfindungen machen, sich alleine durch die Qualität ihrer Tätigkeit durchsetzen, auch dann noch, als die machthabende Clique und ihre willfährigen Speichellecker alles mögliche versuchen, ihnen Eisenbahnschwellen zwischen die Beine zu werfen.
Aber es kommt, wie es kommen muß. Während die brillanten Unternehmerköpfe, allesamt gutaussehend, von schnittigem Bau und voller Glanz in den Augen, blondhaarig und kantgesichtig, auch unter schwersten Bedingungen versuchen, das Land seinen kapitalistischen Weg gehen zu lassen, demontieren die Weichköpfe - Hängelippen, aufgedunsene Gesichter, unstramme Haltung, mit Namen wie Boyle, Pritchett, Weatherby und so weiter - auch die letzten Grundlagen für leistungsorientierte Strukturen, erlassen Verordnung 10-289, und bemächtigen sich der größten Leistung ihrer Zeit, der geheimnisumwitterten Superlegierung "Rearden Metal" - der Todesstoß für ihre Feinde, wie sie glauben.
Doch sie haben die Rechnung ohne John Galt gemacht, noch geheimnisumwitterterer Namensgeber einer Zeitgeistfloskel ("Wer ist John Galt?"), mit der die leidgeprüften Leistungsunwilligen jenen Fragen begegnen, auf die es keine Antwort zu sein scheint. Denn Galt bewegt die gebeutelten Unternehmer dazu, ihrerseits in den Streik zu treten, die zusammenbrechende Wirtschaft dem Höllenfeuer zu überantworten, während die Leistungsträger in einem geheimen Tal irgendwo in Colorado die 'ideale Gesellschaft' aufbauen: Nur ihrereins, keine Weicheier, Leistungsräuber, Plünderer und Gewerkschaftskader, sondern ehrliche, reine Leistung, bezahlt von jenen, die sie sich leisten (!) können, auf solider, paradiesischer Grundlage, sonnenüberstrahlt und von fast kindischer Reinheit. Alles interimsmäßig, denn natürlich sollen die enklavierten Unternehmer die Welt retten, wieder übernehmen, und kurz vor dem völligen Aus in die Arme des naturreinen Kapitalismus zurückführen.

Die Argumentation in "John Galt" ist zwingend, direkt und ohne großartige Trickserei, nein, sie scheint darüber hinaus sogar noch ehrlich, denn die Feinde kommen - überaus eloquent - zu Wort, dürfen ihre Grundlagen verdeutlichen und in einen Diskurs treten, dessen Ausgang jedoch an keiner Stelle offen ist. Wie auch der Verlauf und der Ausgang des Buches. Die Überraschungen halten sich in Grenzen, vorsichtig ausgedrückt, wie auch die stilistische Raffinesse dieses Romans, der *eigentlich* ein Lehrbuch sein will, ein recht erfolgreiches übrigens, denn es gibt und gab weltweit eine große Anzahl Jünger dieses "Objektivismus", dieser Lehre von der reinen Schaffenskraft, der Vernunft und der honorierten Leistung, fokussiert in den diversen "Ayn Rand Institutes".

Gleichzeitig ist dieses Buch natürlich eine widerwärtige, rassistische, frauenfeindliche, asoziale und extrem vereinfachende Schmonzette. In linearer Schwarz-Weiß-Zeichnung werden dem Leser beispielhafte Figuren vorgeworfen, die in keiner Weise repräsentativ sind, Randgruppen von gigautopischer Weltfremdheit, Charaktere, für die die Bezeichnung "am Reißbrett entstanden" eine maßlose Untertreibung wäre. Die Typisierung - oben bereits angedeutet - ist so einfach (und gleichzeitig zwingend), daß der subtil-didaktische Wert des Buches häufig lächerlich wirkt, allerdings nicht, ohne den Leser, der der einfachen und geradlinigen Erzählweise über 1300 Seiten trotzt, grüblerisch zu hinterlassen, mit einem leise-zusagenden Gefühl im Hinterkopf. Denn zumindest eine Prämisse des Buches stimmt: Es sind individuelle Leistungen, die die Gemeinschaft voranbringen und vorangebracht haben, und allzu häufig sind die Erbringer dieser Leistung mißachtet oder sogar bestraft worden. Dieser Gedanke allerdings setzt voraus, daß der Weg insgesamt richtig ist, daß Wachstum, Veränderung zum "Mehr" hin, Wohlstand im materiellen Sinne und dergleichen mehr tatsächlich die Ziele darstellen, nach denen zu streben der Sinn des menschlichen Daseins ist. Daß, verkürzt gesagt, die Anhäufung von Reichtum aus eigener Kraft den einzig wirklichen Sinn darstellt.

Ich möchte das Buch empfehlen, denn es ist seltsam, originell und erfüllt seinen Zweck fast vorbildlich, aus Autorensicht, ein Exempel für "Prämisse rundum erfüllt". Aber es ist keine leichte Lektüre, auch, wenn es so daherkommt, und kann Einfluß ausüben, wie jeder auf der Rezensionsseite von "amazon" nachlesen kann. Für jeden, der sich über den wenig subtilen Kontext hinwegsetzen kann, ist es amüsant, wenn auch zuweilen etwas quälend, denn die Parolen müssen natürlich, wie immer in solchen Fällen, stoisch wiederholt werden, pausenlos. Schade, daß ich es nicht *vor* Ruffs "G.A.S." gelesen habe.

Ergänzend dazu ...


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