Vor dem Frost. Roman.
Henning Mankell, Zsolnay 2003



Der neueste Wallander-Roman ist ein WallanderIn-Roman: Linda, die Tochter des dickköpfigen, dickbäuchigen, etwas mürrischen, aber überaus akribisch arbeitenden Kriminalkommissars Kurt hat die Führung übernommen. Sie ist soeben von der Polizeihochschule nach Ystad zurückgekehrt, lebt sieben Tage in der Wohnung des Vaters, bis am 11. September 2001 Außen- und Ordnungsdienst beginnen sollen.

Vorher jedoch gibt es seltsame Dynamitdiebstähle, brennende Schwäne, einen schwelenden Jungbullen, ein abgefackeltes Zoogeschäft. Eine ältere Dame, die sich das Auffinden verschollener Pfade zur Lebensaufgabe gemacht hat, wird selbst aufgefunden - jedenfalls teilweise. In einer Hütte tief im Wald entdeckt man ihren Kopf, ihre abgeschnittenen Hände, zum Gebet gefaltet. Etwa zu diesem Zeitpunkt verschwindet Anna, die beste Jugendfreundin Lindas, mit der sie anläßlich ihrer Rückkehr nach Ystad wieder Kontakt aufgenommen hatte. In einer von zwei zeitgleich brennenden Kirchen schließlich entdeckt man die Leiche einer Frau, die vor dem Altar mit einem Schiffstau erdrosselt worden ist.

"Vor dem Frost" handelt davon, wie religiöser Fanatismus entsteht, jedenfalls soll das Buch davon handeln, nicht umsonst endet es ausgerechnet am 11. September 2001. Hundertprozentig gelingt das nicht - Motivation, Entwicklung, Gedankenwelt der letztlich treibenden Täterfigur bleiben nebulös, auch, wenn sich Mankell sehr um Erklärungen be-, fast abmüht. Selbiges gilt für die Anhänger, die christlichen Glaubenskrieger, die bis zur Selbstopferung bereit sind, ihrem vermeintlichen Messias zu folgen - all das muß hingenommen und geglaubt werden, die gereichten Erklärungen allerdings sind wenig glaubwürdig, wirken spröde und passiv, wie die Sektierer selbst: Am Reißbrett entstanden. Mankell hat sich mit dem Thema etwas verhoben.

Dadurch bleibt dann nicht viel mehr, als ein wiederum gut erzählter, sehr literarischer Krimi, der allerdings nicht besonders spannend ist, mit den üblichen Versatzstücken arbeitet, etwa der immer wiederkehrenden Situation, in der ein Ermittler - in diesem Fall Linda - irgendeinen Zusammenhang ahnt, aber nicht ausmachen kann, derlei mehr. "Vor dem Frost" läßt einige Handlungsstränge offen, verknüpft nicht alle Fäden, wie auch der Täter letztlich zwar identifiziert, aber nicht gestellt wird.

Bemerkenswert an diesem Buch ist natürlich, daß Tochter Linda das Erbe des großen Vaters antreten soll, der zwar eine nicht unerhebliche Rolle spielt, aber immer nur im Dialog mit der Linda, die ihrerseits reichlich kriminalistische Gaben geerbt zu haben scheint, in vielem dem Vater sogar gleicht - sie ist nur hübscher und jünger -, sich allerdings auf eine Art und Weise verhält, die zumindest in Deutschland zu ihrer sofortigen Suspendierung führen würde. Sie mischt sich in die Ermittlungen ein, handelt eigenständig, gefährdet alles, letztlich sich selbst - kein besonders gutes Beispiel für einen professionell ermittelnden Polizeibeamten, aber sie steht ja am Anfang ihrer Karriere.

Insgesamt und die Vorgänger betrachtend ist "Vor dem Frost" eher Durchschnittsware, streckenweise arg konstruiert, die Ähnlichkeiten zwischen Wallander und seiner Tochter sind zu deutlich, der selbst formulierte Anspruch wird häufig nicht erfüllt. Es gibt ein seltsames, etwas unbefriedigendes Ende, dick mit einem zuckrigen Epilog bestreut.
Ganz großes "Na ja".

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